Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
wichtigsten und schwierigsten Schritte wurden in vorgeschichtlicher Zeit unternommen. Wir wissen nicht, in welchem Entwicklungsstadium die Sprache einsetzte, dürfen aber als ziemlich sicher annehmen, dass sie nur ganz allmählich und schrittweise entstand. Ohne sie wäre es sehr schwer gewesen, die im Laufe der Zeit gemachten Erfindungen und Entdeckungen von Geschlecht zu Geschlecht weiterzugeben.
Ein anderer bedeutsamer Schritt, der in die Zeit vor oder nach dem Ursprung der Sprache fällt, war die Nutzbarmachung des Feuers. Ich glaube, dass das Feuer zuerst hauptsächlich der Abhaltung wilder Tiere diente, während unsere Vorfahren schliefen; offenbar hat man aber bald entdeckt, dass es angenehme Wärme spendet. Wahrscheinlich wurde irgendeinmal ein Kind gescholten, weil es Fleisch ins Feuer geworfen hatte; als man es aber herausnahm, fand man, dass es so viel besser schmeckte, und so begann die lange Geschichte der Kochkunst.
Die Zähmung der Haustiere, besonders der Kuh und des Schafes, muss dann das Leben viel behaglicher und sicherer gemacht haben. Es gibt eine ansprechende anthropologische Theorie, nach welcher man ursprünglich den Nutzen der Haustiere nicht voraussah, sondern alle die Tiere zu zähmen suchte, deren Verehrung einem die jeweilige Religion vorschrieb. Die Stämme, die Löwen und Krokodile verehrten, starben aus, während jene, denen Kuh oder Schaf als heilig galten, gediehen. Mir sagt diese Theorie zu, und da wir weder Beweise noch Gegenbeweise haben, darf ich wohl mit ihr liebäugeln.
Wichtiger noch als die Zähmung der Haustiere war die Erfindung des Ackerbaues, die jedoch blutdürstige Gebräuche in das religiöse Leben einführte, die sich jahrhundertelang erhielten. Fruchtbarkeitsriten brachten leicht Menschenopfer und Kannibalismus mit sich. Moloch wollte das Getreide nicht wachsen lassen, wenn er nicht im Blut von Kindern schwelgen konnte. Ähnlich dachten in Manchester die Anhänger der Niederkirche in den frühen Jahren des Industrialismus, als sie Kinder von sechs Jahren zwölf bis vierzehn Stunden am Tage arbeiten ließen, und zwar unter Arbeitsbedingungen, an denen die meisten starben. Heute hat man entdeckt, dass Getreide auch so wächst und Baumwollwaren auch erzeugt werden können, ohne dass man sie im Blut der Kinder tränkt. Im Falle des Getreides brauchte man zu dieser Entdeckung Jahrtausende; bei den Baumwollwaren kaum ein Jahrhundert. Also gibt es vielleicht doch Anzeichen für einen Fortschritt auf der Welt.
Die letzte große vorgeschichtliche Erfindung war die Kunst des Schreibens, die ja in der Tat eine Voraussetzung für die Geschichte war. Wie die Sprache, so entwickelte sich auch die Schrift erst nach und nach. In Form von Bildern, die eine Nachricht ausdrücken sollten, war sie wahrscheinlich so alt wie die Sprache, doch von den Bildern zur Silbenschrift und von da zum Alphabet war ein weiter Weg. In China wurde der letztgenannte Schritt nie getan.
In historischer Zeit finden wir die frühesten wichtigen Errungenschaften in Mathematik und Astronomie, die beide in Babylonien einige Jahrtausende vor dem Beginn unserer Zeitrechnung einsetzten. Anscheinend verknöcherte und erstarrte die Wissenschaft in Babylonien jedoch, lange bevor die Griechen zum erstenmal damit in Berührung kamen. Ihnen, den Griechen erst, verdanken wir Denkhaltungen und Forschungsmethoden, die sich seither stets als fruchtbar erwiesen haben. In den blühenden griechischen Handelsstädten kamen reiche Kaufherren, die von der Sklavenarbeit lebten, durch ihre Handelsverbindungen mit vielen Völkern in Berührung; einige davon waren noch ganz barbarisch, andere schon ziemlich zivilisiert. Was die zivilisierten Völker – Babylonier und Ägypter zu bieten hatten, eigneten sich die Griechen schnell an. Sie begannen, über ihre eigenen herkömmlichen Sitten und Gebräuche nachzudenken, da sie erkannten, dass sie denen ihrer rückständigen Nachbarvölker ähnlich und doch zugleich davon verschieden waren, und so erhoben sich einige unter ihnen gegen Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. zu einem aufgeklärten Rationalismus, der auch heute noch nicht übertroffen werden kann. Xenophanes beobachtete, dass die Menschen sich Götter nach ihrem eigenen Ebenbilde schaffen: »Die Äthiopier machen ihre Götter schwarz und stumpfnasig; die Thraker sagen, ihre hätten blaue Augen und rotes Haar: ja, und wenn Ochsen, Löwen und Pferde Hände hätten und damit malen könnten und Kunstwerke hervorbringen wie
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