Unsanft entschlafen
Nase. Ich starrte genau in die Mündung und rechnete mir
aus, daß die Kugel in gerader Linie meine Stirn durchschlagen und am Hinterkopf
wieder herauskommen mußte.
»Tja«, sagte Karsh leise. »Lou Kestlers rechte Hand. Wenn Lou will, daß ich jemanden
umlege, dann mache ich das auch.«
»Diesmal sind Sie aber an der
falschen Adresse«, sagte ich heiser. »Ich bin Kestler nie im Leben begegnet.«
»Es handelt sich um einen
Freundschaftsdienst.« Karsh lächelte so, daß sich das Faltennetz auf seinem
Gesicht vertiefte. »Lou vergißt nicht, wenn man ihm mal einen Gefallen getan
hat«, fuhr er erläuternd fort. »Er läßt seine Freunde nicht im Stich. Und wenn
so ein Freund meint, daß sich Lou vielleicht ein bißchen revanchieren könnte,
fragt Lou in der Güte seines Herzens nur: >Wer ist es?< Der Freund aber
hat gesagt: >Boyd.< So einfach ist das.«
»Wer ist dieser Freund, der
mich als kleine Gefälligkeit vierzig Jahre zu früh ins Jenseits befördert sehen
will?« fragte ich bitter.
»Das ist vertraulich«, sagte
Karsh vorwurfsvoll. »Wie kommen Sie mir denn vor? Haben Sie kein Berufsethos?«
Er ließ die Hand plötzlich
herabsinken, und die Magnum verschwand wieder in seiner Manteltasche.
»Ganz ruhig bleiben.« Seine
Stimme klang fast väterlich. »So schäbig sind Lou Kestlers Freunde nicht. Ich soll Ihnen nur eine kleine Warnung zukommen lassen, das ist
alles.«
Ich fühlte, wie der Schweiß
meinen Hemdrücken zu durchweichen begann. »Eine Warnung?« fragte ich.
»Sie suchen nach einer Dame
namens Irene Mandell«, erwiderte er. »Das sollten Sie lieber bleiben lassen,
Boyd. Wozu eine Menge Ärger und eine vorzeitige Beerdigung riskieren? Sie
brauchen weiter nichts, als diese Mandell zu vergessen, dann vergißt Sie Lous
Freund ebenfalls. Und Lou und Mannie Karsh auch. Dann haben Sie das ganze Leben
noch vor sich und können es bis an Ihr seliges Ende genießen.«
»Ich habe ja auch keinen
Klienten«, sagte ich, »und keinen Vorschuß von zweitausend Dollar.«
Karsh faßte in eine Innentasche
und brachte einen Umschlag zum Vorschein, den er einen Augenblick in der Hand
wog und mir dann auf den Schreibtisch warf.
»Allmählich fängt die Sache an,
mir Spaß zu machen«, sagte er beinahe fröhlich. »Ausgerechnet Mannie Karsh, der
beste Killer mit neun Alleingängen in den letzten fünf Jahren, spielt hier den
Weihnachtsmann.«
Ich nahm den Umschlag und
öffnete ihn behutsam. Er enthielt zwei Tausend-Dollar-Scheine.
»Na, hören Sie nicht direkt die
Glocken klingen?« Karsh grinste mich an. »Ich habe es Ihnen doch gesagt. Lous
Freunde haben Charakter. Sie sollen keinen finanziellen Schaden erleiden. Damit
wäre wohl alles geklärt, okay?«
»Okay«, nickte ich. Sollte ich
mich vielleicht mit einem Berufsmörder anlegen und mir ein Loch im Kopf
einhandeln?
»Ich habe Sie doch gleich für
einen vernünftigen Menschen gehalten«, sagte Karsh zufrieden. »Das Problem wäre
also auf anständige Weise aus der Welt geschafft, ganz wie Lou sich das
vorgestellt hat.« Er zögerte einen Augenblick und fuhr dann entschlossen fort:
»Ich tue Ihnen jederzeit gern einen Gefallen, Boyd, Sie brauchen mir nur
Bescheid zu sagen. Wenn Sie mal ernsthaft in Schwierigkeiten geraten und
jemanden loswerden wollen, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich. Den Rest
erledige ich.«
»Umsonst?« Ich sah ihm starr in
die Pupille.
Sein Lachen klang wie das
Quietschen einer verrosteten Gartentür. »Das soll wohl ein Witz sein? Ich bin
zwar nicht ganz billig, aber ich leiste tadellose Arbeit. Ihnen mache ich den
gleichen Preis wie Lou. Ist das ein Angebot?«
»Mehr kann ich wirklich nicht
verlangen, Mannie«, sagte ich.
»Dann sind wir also Kumpels,
wie?« Er wandte sich um und ging auf die Tür zu, während ich ihm intensiver
nachblickte als jemals einer Dame.
Als er schon auf der Schwelle
stand, sah er noch einmal zurück. »Wir haben ein anständiges Geschäft gemacht«,
sagte er schnell. »Und wenn ich auch weiß, daß es sich ein richtiger Kumpel
nicht wieder anders überlegt, will ich es doch sicherheitshalber klarstellen:
Das nächstemal gibt es keine Tausender und eitel
Sonnenschein.«
Nachdem er endgültig
verschwunden war, saß ich noch eine Zeitlang regungslos in meinem Sessel. Dann
steckte ich mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück. Der schöne
Frühlingsmorgen mußte mir in den Kopf gestiegen sein. Wer zahlt schon ein
Honorar wie Hurlingford für einen Job ohne Risiko? Irgendwo mußte da ein
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