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Unsanft entschlafen

Unsanft entschlafen

Titel: Unsanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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gute
Schauspielerin und verausgabte sich jeden Abend restlos. Ich vermute, daß sich
diese beiden Welten in ihrem Kopf verschmolzen haben, bis sie Wirklichkeit und
Phantasie nicht mehr auseinanderhalten konnte. So ist der Traum vom Tod ihr
Traum geworden.«
    »Dann war sie also ein Fall für
den Psychiater«, sagte ich ungeduldig. »Aber was ist später mit ihr geschehen?«
    »Ich weiß nicht, Danny.« Jean
zuckte hilflos die Schultern. »Wenn ich es nur wüßte. Es war ein großes
Geheimnis, die völlige Abgeschiedenheit auf dem Lande, wo sie niemand kannte.
Sie hat mir nie gesagt, wohin sie wollte. Plötzlich war sie fort, und ich habe
sie nie wiedergesehen.«
    »Was für private Sorgen
bedrückten sie denn?«
    »Die Menschen, mit denen sie zu
tun hatte, wenn man sie überhaupt als Menschen bezeichnen kann. Leute wie Roger
Lowell und Jerome Williams. Diese beiden allein hätten genügt, einen ins
Irrenhaus zu treiben, aber da waren noch mehr. Irene tat immer sehr
geheimnisvoll mit ihnen, nannte keine Namen, sondern machte nur irgendwelche
Andeutungen. Es seien zwei ganz große Tiere, und ich würde vom Stuhl fallen,
wenn ich hörte, wer es sei. Ich habe diesem Gerede damals keine sonderliche
Beachtung geschenkt, die meisten Mädchen machen sich ein bißchen wichtig. Aber
seit ihrem Verschwinden denke ich manchmal, es muß doch was an der Sache dran
sein.«
    »Warum?« bohrte ich.
    »Wegen der Dinge, die sich
damals abspielten. Williams wollte überhaupt nicht mehr von ihr sprechen, und
als ich immer wieder nach ihr fragte, sagte er mir schließlich, ich solle sie
vergessen, sonst könnte ich großen Ärger kriegen. Von Barney Meekers bekam ich
ein paar Tage später das gleiche zu hören. Beide benahmen sich, als hätten sie
vor etwas Angst.«
    »Und Lowell?«
    »Roger war Irenes getreuer
Paladin.« Jean lächelte ein wenig. »Bevor er das Augenlicht verlor, war er ein
netter Junge. Daß er sich später änderte, kann man ihm wahrscheinlich nicht
verübeln. Roger schrie Zeter und Mordio über Irenes Verschwinden. Als ich ihn
einen Monat danach sprach, sagte er mir, er sei sicher, daß Williams und
Meekers etwas wüßten, und wenn er sie nicht zum Sprechen bringen könne, würde
er zur Polizei gehen, Privatdetektive ansetzen und der Presse Material für eine
Titel-Story liefern, die ganz Amerika auf die Suche schicken würde. Damals war
Roger noch der Mann, der so etwas wirklich getan hätte.«
    »Und warum wurde nichts
daraus?«
    Jean wandte langsam den Kopf
und starrte mich mit echter Verwunderung an. »Wissen Sie das denn nicht?«
    »Ja, natürlich«, sagte ich. »Er
wurde blind?«
    »Haben Sie nicht davon gelesen?
Es stand in allen Zeitungen.«
    »Ich muß damals verreist
gewesen sein«, erwiderte ich. »Wie ist es denn passiert?«
    »Es geschah drei Tage, nachdem
ich mit ihm gesprochen hatte.« Jean schauderte plötzlich zusammen. »Er war
lange ausgewesen und kam gegen drei Uhr früh nach Hause. Als er aus dem Wagen
stieg, trat jemand an ihn heran und goß ihm Salzsäure ins Gesicht.«
    Ich fühlte, wie meine Kopfhaut
prickelte. »Sein Gesicht ist gar nicht entstellt, jedenfalls ist mir heute nachmittag nichts aufgefallen.«
    »Er war sechs Monate im
Krankenhaus«, erwiderte sie tonlos. »Sein Gesicht ist durch mehrere
Hauttransplantationen wieder zurechtgeflickt worden, aber die Augen waren nicht
zu retten.«
    »Hat die Polizei den Attentäter
erwischt?«
    »Nein.« Sie schüttelte den
Kopf. »Roger war auch keine Hilfe. Irenes Namen hat er niemals mehr erwähnt. Er
behauptete nur, der Täter müsse ihn verwechselt haben. Da konnte die Polizei
nicht viel machen, oder?«
    »Aber Sie halten es für möglich,
daß er die Salzsäure ins Gesicht bekam, weil er sich wegen Irenes Verschwinden
zu stark gemacht hatte?«
    »Das glaube ich, Danny«, sagte
sie ruhig.
    »Haben Sie irgendwelche
Beweise?«
    »Zwei Tage nach dem Anschlag
auf Roger kam ich vom Theater nach Hause und fand einen Mann in meiner Wohnung
vor. Wie er hier eingedrungen war, habe ich niemals herausbekommen. Ein
schrecklicher Kerl.« Sie schauderte wieder zusammen. »Ich habe noch nie im
Leben solche Angst gehabt. Er sah aus wie ein Gespenst, als ob er schon jahrelang
tot und begraben und nur aus seinem Grabe auferstanden war, um mich zu
besuchen.«
    »Ein großer Mann mit gebeugten
Schultern?« fragte ich. »Mit grauem Haar und einem Gesicht wie ein
Rangierbahnhof?«
    »Wie können Sie das wissen?«
Sie blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an.

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