Unscheinbar
sprechen. Hatte er denn nicht gewusst, dass das Gelände ein einziger Trümmerhaufen war? Falls doch, weshalb hatte er sie hergeschickt? Des Grundstücks wegen? Etwas Ähnliches hatte er doch verlauten lassen, oder? ... ich glaube, du kannst den wahren Wert dieser Liegenschaft erkennen... Das hatte er gesagt. Nur, was hatte er damit gemeint?
Vertieft in ihre Gedanken fuhr Emma weiter talwärts ohne zu bemerken, dass sie immer schneller wurde. Sie jagte in rasantem Tempo um die Kurven, die Tachonadel kletterte unaufhörlich weiter.
Mit zu hoher Geschwindigkeit rauschte sie in die nächste Kurve. Sie musste mit aller Kraft gegen die Fliehkraft ankämpfen. Gewann sie dieses Spiel nicht, würde sie in den Abgrund stürzen.
Emma trat auf die Bremse, aber der Mini wurde nicht langsamer. Sie versuchte es erneut. Wieder und wieder. Nichts.
Was war hier los? Emma wurde panisch.
In ihrer Verzweiflung begann ihr Verstand auf Hochtouren zu arbeiten. Bis ins Tal konnte sie das Tempo nicht durchhalten. Eine Steigung, die sie bremsen könnte, war nicht in Sicht. Wenden auf dieser schmalen Strasse war unmöglich. Oder doch? Konnte sie den Wendekreis auf einem winzigen Radius halten, könnte sie es schaffen.
Die Handbremse.
Aber geriete sie dann nicht ins Schleudern? Keine Ahnung. Jedenfalls besser, als weiter auf den Abgrund zuzurasen. Na dann.
Sie holte tief Luft, kratzte all ihren Mut zusammen, umfasste die Handbremse – und zog.
Es gab einen lauten Knall. Dann hörte sie nur noch ein leises Pfeifen. Dafür traf ein Schlag mit enormem Druck auf ihren Körper. Er schien von allen Seiten zu kommen.
Vor ihrer Linse huschte etwas Schwarzes vorbei.
Aber schliesslich wurde alles ruhig.
Ganz in weiss gehüllt schloss sie friedlich ihre Augen.
Strang 2 / Kapitel 12
Das geschäftige Treiben auf dem Hof liess langsam nach. Der Tag neigte sich dem Ende und Bernard war dankbar dafür. Seine Muskeln brannten und er war durstig. Dennoch, er würde jederzeit wieder einspringen. Ruth hatte seine Hilfe gebraucht und wenn seine Schwester rief, eilte Bernard herbei. Das war schon immer so gewesen. Abgesehen davon lenkte die harte Arbeit von den traurigen Vorfällen der letzten Zeit ab. Innert Kürze waren der Familie auf grausame Weise drei geliebte Mitglieder genommen worden. Seither hatte sich die Stimmung auf dem Hof verändert. Verständlicherweise.
Trauer lag in den Herzen eines jeden. Die Frage nach dem Warum hing in der Luft. Aber die Reichs zusammen mit den Knechts hielten eisern an ihrer positiven Einstellung fest. Bernard war sich sicher, sie würden diesen herben Schicksalsschlag wegstecken. Und die tägliche Arbeit, die keinen Aufschub duldete, half ihnen dabei.
Er legte den Hammer beiseite und trat einige Schritte zurück um sich sein Werk anzusehen. Morgen würde er das Dach beenden, sofern das Wetter mitspielte. Bald würde Antonius wieder Schnaps brennen können.
„Und, wwwie sieht es aus?“ Als hätte er Bernards Gedanken gelesen, trat Antonius neben ihn. Er klopfte ihm fest auf die Schulter. Im Gesicht ein breites Grinsen.
„Gut, mein Junge. Gut. Dass deine alte Brennerei dem Feuer zum Opfer gefallen ist und damit die ganzen Vorräte, ist ein Jammer, aber ich glaube, die neue wird dir genauso Freude bereiten. Komm, sieh’s dir an!“ Bernard ging voraus und Antonius folgte ihm in die kleine Hütte. Die beiden Männer hatten kaum Platz nebeneinander.
„Hier“, Bernard zeigte mit je einer Hand nach links und rechts, „werde ich dir einen Tisch nach Mass anfertigen. Daneben werde ich dir Platz für einen grösseren Brennkessel lassen. Und hier“, Bernard drehte sich um seine eigene Achse und kam vor einem schmalen Durchgang zu stehen, „ist der Anbau, den ich dir mit stabilen Regalen ausstatten werde. Dann hast du endlich Platz, alles zu lagern. Was denkst du?“
Antonius strahlte, wie eigentlich immer. „Eees ist toll!“
Diesmal war es Bernard, der Antonius freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Gut. Dann lass uns essen! Meine Schwester hat gesagt, sie hätte heute mit Käthe zusammen einen Hackbraten gezaubert. Den wollen wir uns kaum entgehen lassen, oder?“
„Nnein!“
Lachend schob Bernard Antonius vor sich her aus der Hütte und geradewegs auf das Haupthaus zu. Aus dem offenen Fenster der Küche waberten unwiderstehlich die würzigen Düfte von Kartoffelstock, Bohnen und Fleisch. Gerüche, die alle anlockten. Beinahe gleichzeitig mit Bernard und Antonius trafen auch Gregor
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