Unschuldig
Beleuchtern, die mit der Einrichtung von Scheinwerfern fertig waren und draußen rauchten. Nachdem die Woerner sich einigermaßen beruhigt hatte, war der Betrieb am Set wieder in vollem Gange.
Die Techniker bauten ein Podest vor dem Restaurant auf. Zwei junge Fahrer, die auch für das Catering zuständig waren, schmierten Brötchenhälften. An dem eigens dazu aufgebauten Tisch stand der Schauspieler, den Paula am Vortag auf der Treppe ihres Wohnwagens kennengelernt hatte. Er hielt einen Becher Kaffee in der Hand und gestikulierte aufgeregt vor der Maskenbildnerin.
Als er Paula entdeckte, kam er sofort auf sie zu und fragte unverblümt: »Und? Welche Erkenntnisse haben Sie inzwischen gewonnen? «
»Wir ermitteln noch in alle Richtungen. Auch in Ihre.«
»Haben Sie mich tatsächlich als Verdächtigen auf Ihrer Liste?«, fragte er begeistert.
Paula sah ihn einen Moment genervt an, bevor sie entgegnete: »Ich erkläre Ihnen jetzt mal die Regeln: Erstens stelle ich hier die Fragen, und zweitens antworten Sie, ohne Gegenfragen zu stellen.«
Er zwinkerte ihr zu: »Einverstanden. Aber nur, wenn Sie zugeben, dass es gerade zwischen uns gefunkt hat.« Er grinste.
Paula holte tief Luft. Dieser Fall ging ihr irgendwie an die Nieren. Lag es an ihrer noch nicht richtig eingestandenen Sorge, dass der Mord und die grausame Verstümmelung die Tat eines Wiederholungstäters sein könnte? Oder lag es an all diesen überkandidelten Filmern, die glaubten, es gäbe nichts Wichtigeres auf der Welt als die eigene Person? »Und da wunderst du dich?«, hatte ihre Freundin Chris lachend am Telefon gefragt, als Paula die Staatsanwältin über den Stand der Ermittlungen unterrichtet hatte. »Fünfundneunzig Prozent aller Menschen interessieren sich ausschließlich für sich selbst. Bei den Schauspielern ist es nur deutlicher zu sehen.«
Später ärgerte Paula sich darüber, dass Tim Möller sie die ganze Zeit über ignoriert hatte. Und dann bellte er sie statt einer Begrüßung auch noch an: »Sie haben offensichtlich keine Ahnung, was hier jede Minute an Drehzeit kostet! Selbst wenn Sie den Mörder finden, was haben wir davon? Eine lebendige Lea?«
Paula ließ sich nicht beeindrucken. »Ich kann Sie auch ins Präsidium zwangsvorführen lassen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Möller schluckte und schien einzulenken. Er war ein kompakter Kerl, hatte keinen Bauch, aber auch keine Hüften. Da, wo Paula sich bei Männern Hüfte, Bauch, Brust und Oberkörper in geschwungenen Linien wünschte, befand sich bei ihm ein voluminöser behaarter Koffer. Die oberen drei Knöpfe seines karierten Hemdes waren geöffnet. Er strich sich über seine schwarz gelackte Haartolle. »Sie können ja gar nicht wissen, was im Filmbusiness so abgeht«, sagte er milde. »Eine Stunde Dreharbeiten kostet mehr, als Sie im Monat verdienen, und das sind wohlgemerkt die billigen Produktionen, ohne Stunts und aufwendige Technik.«
Wenn du denkst, du könntest mich damit beeindrucken, dann hast du dich gründlich geirrt, dachte Paula. »Ich möchte mit Ihnen über Lea Buckow sprechen.«
»Bitte schön, legen Sie los.«
»Wir reden ohne Zuhörer«, bestimmte sie und deutete in Richtung Wohnwagen.
Er nahm eine gekühlte Cola-Dose vom Catering-Wagen und folgte ihr.
Obwohl die Heizung in dem Wohnwagen wieder auf vollen Touren lief und es beinahe unerträglich heiß war, schloss Paula die Tür hinter ihm. Dann öffnete sie das Fenster und drehte die Heizung ab. Beide setzten sich.
»Wann haben Sie Frau Buckow zuletzt gesehen?«
»Vorgestern Abend bei der Produktionsbesprechung.«
»Wann fand die statt?«
»Sie dauerte von etwa halb acht bis kurz vor neun.«
»Wer war außer Ihnen und Frau Buckow noch dabei?«
»Die Aufnahmeleiterin, ihre Assistentin und meine beiden Assis.«
»Was wurde besprochen?«
»Der Ablauf einer Drehplanumstellung für übermorgen. Kleine Änderungen im Buch. Eine Motivänderung für nächste Woche.«
Er bestätigte das, was Paula schon durch die Aussagen der Aufnahmeleiterin wusste. »Ist Ihnen während der Besprechung irgendetwas aufgefallen? War Frau Buckow anders als sonst?«
»Nein, sie war sonst ebenso besoffen.«
Paula war verwundert über seine harschen Worte: »Sie meinen, sie war während der Besprechung betrunken?«
Er seufzte. »Nein, da noch nicht. Obwohl, da standen auch schon zwei Flaschen Weißwein auf dem Tisch. Ich meine, dass ich sie noch kurz auf dem Set gesehen habe. Etwa um halb zehn. Und da hatte sie ziemlich
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