Unschuldig
durchstochen. Die Tote hatte kurz vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr.«
Paula blickte überrascht in die Runde und sah erstaunte Gesichter.
»Was heißt kurz vor dem Tod?«, wollte Herbert wissen.
»Etwa bis drei Stunden vorher.«
»Äußere und innere Geschlechtsorgane geben keine Hinweise auf sexuelle Gewalt.«
»Spermaspuren?«
Paula blätterte in dem Bericht. »Ja, die sind vorhanden.« Sie überlegte. Hatte sie vielleicht mit ihrem Mörder Sex? Kannte sie ihn gut? Ihr Mann konnte ja nicht der Geschlechtspartner gewesen sein, weil er um diese Zeit mit seiner Assistentin in Hamburg war.
Paula machte eine Notiz und las weiter: »Die Haare sind etwa 40 cm lang, schwarz und glatt. Alle Zähne sind natürlich und in gutem Zustand. Fingernägel kurz, rund gefeilt und rosa lackiert. Auch die Fußnägel sind rosa lackiert, sie hatte wahrscheinlich wenige Tage vor ihrem Tod professionelle Maniküre und Pediküre. Aus beiden Augenhöhlen wurden die Augäpfel entfernt, wahrscheinlich herausgeschält mit einem Grapefruitmesser, das am Tatort, der dem Fundort der Leiche entspricht, sichergestellt wurde und in die Spurensicherung ging. Die Augäpfel wurden nicht am Tatort aufgefunden. In den Höhlen der Augen, den Nasenlöchern und in der Mundöffnung fanden sich Larven von Mehlkäfern, Tenebrio molitor , siehe Anhang.«
Das war typisch für Dr. Weber, dass sie im Anhang des Obduktionsberichtes oft noch allerlei Informationen gab, die bei den Ermittlungen nützlich sein konnten. Ihre hilfsbereite Umsicht hatte auch seit dem letzten Herbst nicht nachgelassen, als die Rechtsmedizinerin ihren jüngeren Bruder Stephan auf tragische Weise verloren hatte: Er hatte sich aus Scham im Untersuchungsgefängnis erhängt. Die Polizei und sogar seine Schwester hatten ihn verdächtigt, der »Häuter« zu sein, ein Serienmörder, der seinen getöteten Opfern die Haut abzog. Für Martina Weber, die für alle Obduktionen des Falls zuständig war, ein furchtbarer Schicksalsschlag. Auch Paula war betroffen: Sie war zu spät gekommen, um Stephan im Untersuchungsgefängnis den Namen des wahren Täters mitzuteilen.
Sie schlug die letzte Seite des Berichts auf und las weiter: »Der Mehlkäfer ist schwarz bis braun, hat keine Flügel, ein Sechsfüßler. Die Larven sind im Volksmund bekannt unter dem Namen Mehlwurm, sie sind Lebendfutter für kleine Tiere. Es ist davon auszugehen, dass wahrscheinlich der Täter die Mehlkäfer in das Gesicht des Opfers verbracht hat. Die Würmer werden in kleinen Terrarien, Faunarien oder ähnlichen Behältern gezüchtet.«
»Hat jemand von euch schon mal so einen Mehlkäfer gesehen? «, fragte Herbert, begierig darauf, seine Informationen auch dem Team mitzuteilen, und legte mehrere Fotos von Mehlwürmern auf den Tisch.
»Ein ziemlich unscheinbarer Geselle«, sagte Marius lässig.
»Unscheinbar oder nicht«, fuhr Herbert fort, »die Käfer ernähren sich normalerweise von stärkehaltigen Nahrungsmitteln, Mehl oder Brot. Deswegen möchte sie keine Hausfrau in ihrer Küche haben, zudem sind sie auch noch nachtaktiv. Sie sind schnelle, gierige Fresser, wenn die Temperatur richtig ist. Vorne am Kopf haben sie ein Maul mit zwei seitlich angebrachten Beißwerkzeugen, mit denen sie die Nahrung zerkleinern und aufnehmen. Sie besitzen daneben Fühler und Augen und können hell und dunkel unterscheiden. Am Vorderleib befinden sich sechs Beine in Zweierpaaren angeordnet. Damit können sie sich ziemlich schnell bewegen und eingraben.«
»Wie lange lebt so ein Käfer?«, fragte Paula.
»Kommt drauf an, wie kühl er gehalten wird. Je kühler die Dinger stehen, desto langsamer entwickeln sie sich«, sagte Herbert. »Die Leute, die sie züchten, halten sie daher meist in kalten Räumen wie zum Beispiel im Keller. Man kann sie aber auch im Kühlschrank unterbringen. Das ist kein großes Problem, sie können ja nicht wegfliegen oder steile Wände erklimmen. Von daher entkommen sie nicht aus ihrem Zuchtbehälter, selbst wenn kein Deckel drauf ist.«
»Wer züchtet oder kauft so etwas normalerweise?«, wollte Paula wissen.
»Leute, die Hamster haben oder andere Haustiere, zum Beispiel Igel, die Lebendnahrung brauchen. Die Würmer sind zweieinhalb bis drei Zentimeter lang, und man muss sie mit den Fingern oder mit der Pinzette nehmen und dem Hamster oder Igel so hinhalten, dass der Kopf zuerst abgebissen wird. Warum das so ist, weiß ich auch nicht.«
»Lecker!« Tommi verzog das Gesicht.
Paula las weiter vor: »Hier
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