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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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hielt er Augenkontakt und hörte ihr aufmerksam zu. Sicher, sein gutes Aussehen war kein Nachteil, aber auch ein weniger attraktiver Mann konnte so gut wie jede Frau rumkriegen. Er musste ihr nur das Gefühl vermitteln, dass sie etwas ganz Besonderes war und er deshalb nur für sie Augen hatte.
    »Ich heiße übrigens Tom.« Er hielt ihre Hand ein paar Sekunden länger als notwendig, damit sie spüren konnte, dass er sie anziehend fand.
    »Claudia.«
    »Schöner Name.« Lächelnd schaute er sie mit einem Blick an, als sei er völlig verzaubert von ihr.
    Sie trank ganz schön viel. Wenn sie so weitermachte, würde sie über kurz oder lang sternhagelvoll sein.
    Der Club füllte sich immer mehr. Es wurde heißer und voller, die Luft war geschwängert mit Körperausdünstungen, Parfüm und verschüttetem Bier. Draußen standen die Raucher, und jedes Mal, wenn die Tür sich für neue Gäste öffnete, kam gleichzeitig mit ihnen auch ein Schwall von Zigarettenqualm herein.
    Von dem grellen Licht und der stampfenden Musik dröhnte sein Schädel. Sie konnten sich nur noch verständigen, indem sie nahe aneinanderrückten und einander ins Ohr brüllten. Sie roch nach einer Mischung aus Schweiß und einem zitronigen Parfüm. Für einen kurzen Moment spürte er ihren heißen Atem und ihre Lippen an seiner Wange. Während sie sprach, lag ihre Hand auf seiner Schulter. Er konnte die feuchte Hitze ihrer nackten Haut spüren. Links auf ihrem Schlüsselbein hatte sie ein auffälliges Tattoo. Es war ein Skorpion, der auf zwei roten Herzchen balancierte. Das enge, silbrig glänzende Top klebte an ihren Brüsten. Bauch, Arme und Schultern waren unbedeckt.
    Er schloss die Augen. Der Lärm, der Alkohol und die Berührungen betäubten ihn. So hatte er sich nur in der Zeit nach Fabians Tod gefühlt. Er erinnerte sich, wie alles um ihn herum unwirklich und völlig unbegreiflich erschienen war. Als sie etwas zu ihm sagte, konnte er zwar ihre Worte hören, verstand sie aber nicht mehr. Er entschuldigte sich und ging zur Toilette, setzte sich für eine Weile auf den geschlossenen Deckel und dachte an die Blumen auf Fabians Kindersarg. Tränen traten ihm in die Augen, und er sackte in sich zusammen. Erst durch ein Hämmern an der Toilettentür kam er wieder zu sich. Er drängte sich an dem ungemütlichen Glatzkopf vorbei und wusch sich am Becken das Gesicht mit kaltem Wasser.
    Als er zurückkam, saß sie noch immer auf demselben Platz. Nichts an ihr hatte sich verändert. Er setzte sich neben sie und entspannte sich. Irgendwann spürte er einen Druck in seinem Ohr, leichte Atemstöße, und merkte, dass sie mit ihm redete. Als er die Augen öffnete, füllte ihr Kopf sein Blickfeld, so groß, dass er nichts erkennen konnte. Er rückte ein Stück zurück und sah, wie sich ihre Lippen bewegten.
    »Was?«, fragte er. Seine Stimme klang weit entfernt und ging unter im Bassgedröhn des House-Sounds.
    »Ich habe gefragt, ob du tanzen willst.«
    Er nickte, und sie tauchten auf der riesigen Tanzfläche in das Gewimmel aus Körpern. Die Decke über der Tanzfläche war verspiegelt. Er sah rhythmisch hüpfende Köpfe und ausgestreckte Arme, die in den flackernden roten und blauen Lichtern hin und her schwankten wie Bambusrohre. Seine ungelenken Versuche zu tanzen scheiterten am engen Platz. Seine Glieder zuckten unkontrolliert in der donnernden Hölle. Er hatte das Gefühl, aus dem Saal gepustet zu werden, als der DJ die Regler für die kriegerische House-Gemeinde so richtig aufdrehte. Hammerharter und düsenjetlauter Sound. Er verlor jedes Zeitgefühl. Vielleicht tanzte er erst seit Minuten, vielleicht aber auch schon seit Stunden.
    Irgendwann hatte er Durst und verließ die Tanzfläche. In manchen Flaschen auf den Tischen war noch etwas Bier, doch bei dem Gedanken an Alkohol wurde ihm schwindlig. Er nahm ein Glas mit halb geschmolzenen Eiswürfeln und kippte sie gierig in den Mund. Schließlich kam auch sie zurück von der Tanzfläche. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie fort gewesen war. Sie brachte zwei Gläser Wasser mit roten Strohhalmen. Blutrot, dachte er. Ihr Haar war klatschnass, ihre Arme und ihr Oberkörper waren gerötet und glänzten vor Schweiß. Nach der Verausgabung auf der Tanzfläche hoben und senkten sich ihre kleinen Brüste in schnellem Rhythmus. Er sagte, er müsse leider bald gehen. Überall waren zu viele Menschen, hier würde er seinen Plan nicht ausführen können. Sie bat ihn, auf sie zu warten, kaufte noch eine Flasche gekühlten

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