Unschuldig
Sekt an der Bar und hakte sich bei ihm unter.
Draußen war es ruhig und ziemlich kalt. In seinen Ohren summte es. Er hatte den Arm um sie gelegt und spürte den ihren an seiner Hüfte. Automatisch griff er nach seiner Mütze, die er sonst immer in der Seitentasche seiner Jacke aufbewahrte, und fand sie nicht. Wo konnte sie sein? Sie lag bestimmt noch zu Hause auf der Ablage im Flur. Er nahm sich vor, später nachzusehen.
Im Taxi schmiegte sie sich an ihn. Ihre Haut war brennend heiß und glitschig.
Er war schlagartig hellwach, als sie sagte: »Ich zeig dir noch mein Tigerbaby.«
28
A m Mittwochmorgen hatte Paula plötzlich Lust, mit dem Fahrrad ins Büro in die Keithstraße zu radeln. Das Rad hatte ihr Jonas letztes Jahr geschenkt. Als sie gestern zu ihm ins Bett gekrochen war, hatte er prophezeit, es werde einen Wetterumschwung geben. Er hatte leider recht behalten. In der Nacht war es stürmisch geworden. Auch jetzt noch, als sie mit ihrer Teetasse am Fenster stand, peitschte der Sturm die Baumkronen im Hof so heftig, dass sie wild hin und her schwankten und immer wieder aus ihrem Blickfeld verschwanden. Die Zweige vollführten dabei einen zügellosen Tanz. Sie stellte Jonas das Tablett mit Tee und zwei Scheiben Toastbrot mit Marmelade ans Bett, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und machte sich dann dem Wetter zum Trotz mit dem Fahrrad und ihrem roten Regencape über die Kant in Richtung Keithstraße auf den Weg ins Büro. Sie hoffte, der Wind würde sie ordentlich durchblasen und dabei vielleicht ein bisschen mehr Klarheit in ihre chaotischen Gedanken bringen.
Vor dem LKA-Gebäude schloss sie ihr Rad sorgfältig ab – ihrem Kollegen Marius war erst kürzlich seines direkt vor dem Eingang am helllichten Tag gestohlen worden. Im Büro warf sie ihre nasse Regenhaut achtlos über einen Stuhl und begrüßte Ulla, die ihr einen tadelnden Blick schenkte. Die anderen Kollegen sollten auch bald eintreffen. Während Paula genüsslich ihren ersten Kaffee schlürfte, checkte sie die Mails. Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, und ein junger Beamter der Bereitschaft informierte sie über eine weibliche Leiche in einem Wasserbecken des Berliner Zoos. Auch sie war ohne Augäpfel aufgefunden worden.
Nur wenige Minuten später stand Paula frierend im Regen am Zoo-Haupteingang »Elefantentor«. Sie musste auf den Direktor warten und wurde ungeduldig, weil der Eingang nicht, wie versprochen, geöffnet war. Als er endlich erschien, verlangte er mit einem skeptischen Blick auf ihre Kleidung ihren Dienstausweis zu sehen. Offensichtlich stellte er sich eine Kriminalhauptkommissarin anders vor. Gereizt beobachtete Paula, wie er den Ausweis eingehend studierte und sie dann musterte. Als er ihn zurückgab, fragte er sie, ob es ein Problem gebe. Die Kollegen hatten sich am Telefon offenbar bedeckt gehalten.
»Das kann man so sagen. Es gibt eine Tote. Wahrscheinlich Mord. Aber es gibt auch ein Problem, wenn Sie mich noch länger hier im Regen stehen lassen!«, antwortete Paula unwirsch. »Wo finde ich die Kollegen?«
»Mord?« Der Direktor hatte sich als Dr. Richard Braun vorgestellt. Er trug einen makellosen anthrazitfarbenen Anzug unter seinem durchsichtigen Plastikcape und dazu ein gelbes Hemd mit lavendelfarbener Krawatte.
Schweigend gingen sie eine kurze Allee entlang und passierten den Weg am Ententeich voller Federvieh und Gequake. Zuletzt war Paula mit Manuel im Zoo gewesen. Da hatten sie auch die Entenarten gezählt und waren auf vierzehn verschiedene gekommen: Brautenten, Mandarinenten, Sichelenten, Stockenten und noch viele mehr.
Die Tote sollte laut Aussage des Schutzpolizisten im Goldfischbecken des Raubtierhauses liegen. Dr. Braun öffnete das Tor zum Großkatzenhaus. Ein scharfer Geruch schlug ihnen entgegen. Paula sah sich um. Links in den Käfigen waren die Löwen, rechts die Leoparden untergebracht. Die Löwen waren die größten Raubkatzen im Haus. Im ersten Käfig lag eine junge Löwin träge in der Ecke und putzte sich das Fell. In einem Einzelkäfig nebenan lag ein alter Löwe und beobachtete die Löwin mit schläfrigen Blicken. Immer wieder schlugen seine Tatzen gegen das Gitter, wie in der Hoffnung, es mit unermüdlichen Bewegungen irgendwann öffnen zu können. Paula wusste, dass Löwen gesellige Tiere waren und in der freien Natur in großen Rudeln lebten. Aber hier im Zoo mussten sie allein oder zu zweit in kleinen Käfigen ihr Dasein fristen.
Neben den Löwenkäfigen befand sich hinter
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