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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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einer Glasscheibe eine Art Küche oder Metzgerwerkstatt, wo das Fressen für die Tiere zubereitet wurde. Es gab drei Waschbecken und mehrere Metallregale, eine Anrichte und einen großen Holzblock zum Zerteilen des Fleisches. An der Wand hingen Fleischerhaken, Kochlöffel und einige Messer unterschiedlicher Größe. Diverse weitere Werkzeuge lagen neben dem Holzblock.
    »Raubtierfütterung«, war auf einem Schild zu lesen, » Dienstag bis Sonntag um 15.30 Uhr. Die Löwen und Tiger fasten auch am Donnerstag.«
    Paula ignorierte den durchdringenden Geruch und ging zu den beiden Beamten, die am Rand des Goldfischteichs auf sie warteten.
    Die weibliche Leiche lag im Wasser. Sie trug ein silbrig glänzendes Top und enge ausgefranste Jeans. Ihr kurzes schwarzes Haar, das im Wasser nach allen Seiten vom Kopf abstand, war mit rot gefärbten Strähnen durchsetzt. Sie hatte einen Ohrstecker und ein Tattoo auf der entblößten Schulter: ein Skorpion auf zwei roten Herzchen. Ihre Augäpfel fehlten. Der Optiker hatte also ein drittes Mal zugeschlagen. Und wieder war der Fundort der Leiche ein öffentlicher. In Paula machte sich ein Gefühl der Verzweiflung breit. Sie konnte sich jetzt schon die bissigen Bemerkungen vorstellen, die sie in der Presse würde lesen müssen. Wo sind die Mehlwürmer?, dachte sie. Vielleicht von den Fischen gefressen. Dicke Goldfische und große Guppys schwammen neugierig um die Tote herum. Sie ließ ihren Blick über das Terrain wandern. Auf dem Boden des Bassins zwischen verschiedenen Gräsern und Pflanzen blinkten zahlreiche Münzen. Zwischen halbhohen Yucca-Palmen und Ficus Benjamini lag eine leere Sektflasche. Hatte der Täter sie dort liegen lassen?
    »Weiß jemand, wer die Frau ist?«, fragte sie in die Runde.
    »Das ist eine unserer Tierpflegerinnen«, sagte der Direktor leise. Er räusperte sich. »Claudia Borowski. Sie war eine unserer zuverlässigsten Mitarbeiterinnen.«
    Paula hörte ein merkwürdiges Schnaufen und blickte in die Richtung, in die die beiden Polizisten gebannt starrten. Der Löwe in dem Doppelkäfig schleckte das Fell der Löwin, die sich die Zuwendung wohlig gefallen ließ. Sie nahm keine Notiz davon, als er sie bestieg. Er gab kehlige Geräusche von sich, wenngleich nicht länger als zwanzig Sekunden. Dann ließ er von ihr ab und legte sich zufrieden neben sie. Als die Beamten Paulas Blick bemerkten, schauten sie verlegen zur Seite.
    »Haben Sie irgendeine Idee, wer das getan haben könnte?«, fragte der Direktor, den Blick auf die Tote gerichtet.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann noch nicht darüber sprechen. Wir müssen den Tatort absperren. Das Raubtierhaus soll bitte für das Publikum gesperrt bleiben.«
    »Wie lange kann das dauern?«
    »Mit mindestens zwölf Stunden müssen Sie schon rechnen.« Paulas Blick blieb an der Nase des Direktors hängen, die ihr vorher gar nicht aufgefallen war. Sie war riesengroß und von violetten Äderchen überzogen.
    Wieder musste sie an ihren Zoobesuch mit Manuel im vergangenen Herbst denken. Um das Goldfischbecken herum, in dem jetzt die Tote lag, waren Holzbänke platziert, über die man sich leicht hinweglehnen konnte. Einige Kinder hatten ihre Finger ins Wasser gestreckt, damit die Goldfische sie anknabberten, aber Manuel traute sich das nicht. Ein kleiner gefleckter Ozelot, der wenige Wochen zuvor im Zoo geboren worden war, interessierte ihn weit mehr. Immer wieder rief er: »Wie süß!«, »Sieh mal, die Katze, wie süß!« Noch Wochen danach lag er seiner Mutter in den Ohren, weil er unbedingt eine Katze haben wollte. Das hatte sich inzwischen allerdings geändert – jetzt träumte er von einem kleinen Hundebaby.
    »Toll«, hatte sich Sandra nachher beschwert. »Da hast du ihm ja einen schönen Floh ins Ohr gesetzt.«
    »Keinen Floh, sondern einen Ozelot«, hatte Paula lachend erwidert.
    Der Direktor informierte sie, dass Claudia Borowski seit einer Woche Urlaub hatte. Dann rief er den Leiter des Raubtierhauses an, der ihm mitteilte, dass am Vorabend nach dem Verlassen der letzten Besucher alles in Ordnung gewesen war und er die Türen ordnungsgemäß verschlossen hatte.
    »Dann muss sie nachts mit ihrem Mörder ins Raubtierhaus gegangen sein«, überlegte Paula. »Hatte sie einen Schlüssel?«
    Der Direktor nickte. »Ja. Aber wann könnte sie hier reingekommen sein?«
    »Offensichtlich irgendwann, nachdem der Kollege die Türen verschlossen hat und bevor sie hier ums Leben kam«, antwortete Paula lakonisch.
    Er seufzte.

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