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Unschuldig

Titel: Unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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dich eben hin.«
    »Okay«, sagte der Kleine zögernd und schaute noch einmal zur Haustür, ob seine Tante nicht vielleicht in diesem Moment doch noch kommen würde. Nichts. Entschlossen wandte sich der Kleine ihm zu.
    Er nahm ihn bei der Hand, und beide gingen schnell um die Ecke, wo sein Wagen stand.
     

36
    A ls Paula wenige Minuten später vor die Haustür trat, war Manuel nicht da. Sie schaute auf der Straße nach links und rechts. Hatte er sich irgendwo in einem Eingang oder hinter einem Baum versteckt, um sie zu erschrecken? Er war nirgends zu sehen. Auch auf ihr Rufen kam keine Reaktion. Sollte er allein zu Luca gegangen sein? Beunruhigt hastete sie die Sybel entlang in die Giesebrechtstraße zum Restaurant von Lucas Vater und riss die Tür auf. Mehrere Glöckchen bimmelten. Um diese Zeit war das Lokal noch leer. Die mit rot-weißen Tüchern gedeckten Tische warteten auf die Mittagsgäste. »Manuel?«
    Enrico kam in einer weißen Schürze aus der Küche. Seine Hände waren voller Mehlstaub. »Hallo, Manolo ist noch nicht hier. Luca wartet in der Küche, und ich bin auch in einer Minute fertig.«
    Paula spürte, wie ihr Herz schneller schlug. In ihrem Hals klopfte es, und ihr Gesicht wurde heiß. Irgendetwas war hier überhaupt nicht in Ordnung. »Er wollte zu Luca«, sagte sie heiser.
    »Ja, wir warten. Wo ist er?« Enrico sah sie fragend an.
    »Manuel ist wirklich nicht hier?« Sie konnte es noch nicht begreifen.
    »Nein, er ist nicht da. Ich hätte doch die Glocke von der Tür gehört«, sagte Enrico.
    »Wo kann er nur sein?«, fragte sie mit belegter Stimme.
    »Sicher irgendwo draußen auf der Straße.« Enrico wollte nachschauen, aber da war Paula schon rausgelaufen, hastete den kurzen Weg zurück, blieb stehen und schaute sich nach allen Seiten um.
    Von Manuel war nichts zu entdecken.
    Wahrscheinlich war er in die Fußgängerzone gegangen, beruhigte sie sich. Aber was wollte er dort? Gummibärchen kaufen vielleicht – er war ziemlich scharf auf Süßigkeiten und hatte immer fünf Euro dabei. Warum ging er einfach ohne sie los? Sie hatte keine Chance, ihn in dem Menschengewühl der belebten Wilmersdorfer Straße von Weitem zu sehen. Musste sie jetzt den ganzen Weg abgehen und in jedes einzelne Geschäft schauen?
    Jemand rempelte sie an – oder umgekehrt sie ihn. Empört schaute sie den jungen Mann an. Einer von diesen Typen, die versuchten, jedem Passanten einen Handy-Vertrag aufzuschwatzen. Halt! Er könnte Manuel gesehen haben, während er die Leute mit seinem Vertragstext nervte. Sie entschuldigte sich. »Haben Sie hier einen kleinen Jungen gesehen? Einen kleinen blonden Jungen mit einem roten Rucksack?«
    Der Typ schaute sie verständnislos an. Offenbar konnte er von seinen Handy-Verträgen nicht so schnell umschalten auf eine Frage, die jeder normale Mensch würde beantworten können. »Ein Junge! Klein, blond! Roter Rucksack! Haben Sie ihn gesehen?«
    Ihr drängender Ton schien ihn endlich zu erreichen. »Nee, keine Ahnung. Ich hab nix gesehen!«
    Paula wurde wütend. »Nix? Sind Sie blind?«
    »Was wollen Sie überhaupt von mir?«
    »Scheiße, verdammte!« Sie ging schnell weiter. Als sie den Kiosk mit den Süßigkeiten erreichte, war sie schon so in Aufruhr, dass sie den Besitzer mit den ledernen Handgelenkschützern kaum in normalem Tonfall ansprechen konnte.
    Sie riss sich zusammen: »War eben ein kleiner Junge hier und hat Gummibärchen gekauft?«
    »Nö, aber ick kann Ihnen ’ne Tüte mitjeben. Kann er ja dann zu Hause futtern.«
    Paula schenkte dem Mann ein gezwungenes Lächeln. »Ich suche mein Kind, verstehen Sie? Der Kleine ist verschwunden, und es könnte sein, dass er hier gewesen ist, um Gummibärchen oder etwas anderes zu kaufen. Das war meine Frage. Er ist sechs Jahre alt, blond, hat eine blaue Jacke an und auf dem Rücken einen roten Rucksack. Haben Sie so ein Kind gesehen?«
    »Nö. Warum is er denn nich in der Schule? Wenn man se rumloofen lässt, machen se nur Ärjer.«
    »Also haben Sie ihn gesehen?«, wiederholte Paula.
    Der Mann zuckte hilflos die Schultern, und sie wandte sich ab. Ein paar Schritte entfernt hörte sie noch, wie er laut und entrüstet sagte: »’tschuldijung, dat ik überhaupt wat jesacht hab. Solln se doch besser uffpassen uff de Jören.«
     
    Auf dem Rückweg rannte Paula bei Rot über die Ampel und eilte mit glühendem Gesicht zu der Ecke, wo der glatzköpfige junge Russe die »Schöne Welt« bewachte. Breitbeinig stand der Bodyguard vor dem

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