Unschuldig!
zugleich Charles' bester Freund war, den Bezirksstaatsanwalt, den Bürgermeister und die verbliebenen drei Ratsmitglieder.
Zwar hatte Julia über Charles' Anwalt von den Einzelheiten der Beerdigung erfahren, jedoch war nur Andrew eingeladen worden, mit seinem Großvater in der Limousine zu fahren. Jetzt stand er da neben Charles, ein ernster und traurig dreinblickender kleiner Junge im Sonntagsanzug.
Kaum waren die ersten Bürger eingetroffen, wurde getuschelt.
“Diese Dreistigkeit von ihr, hier zu erscheinen”, zischte eine Frau laut genug, dass Julia sie hören konnte.
“Als hätte sie nicht schon genug Unheil angerichtet.”
“Mir tut nur der Junge Leid.”
“Wenn du mich fragst”, mischte sich eine weitere Frauenstimme ein, “sollte Charles ihn bekommen und für eine gute Erziehung sorgen.”
Julias ganze Selbstbeherrschung war gefordert, um ihr Temperament zu zügeln. Unerschütterlich und unfähig, eine Träne zu vergießen, ignorierte sie das gehässige Getratsche und sah starr zu Reverend Barlow, dem Geistlichen, der sie und Paul getraut hatte.
Sie wusste sehr wohl, dass die Menschen in Monterey sie nie gemocht hatten. Die Nachricht, dass Paul Bradshaw die Tochter eines Säufers heiraten würde, der seine Familie im Stich gelassen hatte, war wie eine Welle des Entsetzens über die Kleinstadt hereingebrochen. Warum sie? fragten die Leute. Was konnte eine Frau wie Julia bloß zu Pauls Zukunft beitragen?
Sechs Jahre später gaben sie ihr erneut die Schuld, weil sie sich vom Lieblingssohn der Stadt scheiden ließ. Auch wenn sie und Paul unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten als Grund angegeben hatten, zeigten die Menschen schon bald mit dem Finger auf sie. Warum hatte sie sich nicht bemüht, damit die Ehe funktionierte? Wie konnte sie nur so herzlos sein und ihn verlassen, wo seine Karriere doch gerade auf einen Höhenflug zusteuerte?
Jetzt war er tot, und sie gaben ihr abermals die Schuld.
Während Julia einige Minuten später die Trauergäste beobachtete, die eine lange Reihe bildeten, um Charles ihr Beileid auszusprechen, fragte sie sich, was diese Menschen sagen würden, wenn sie wüssten, dass der Mann, um den sie trauerten und in den sie so viel Vertrauen gesetzt hatten, von der Sorte war, die ihre Ehefrau schlugen.
Würden sie es ihr überhaupt glauben?
“Julia?”
Sie drehte sich um und erkannte Barry Specter, den Bürgermeister von Monterey. Specter und Paul waren früher einmal befreundet gewesen, doch Pauls Entscheidung, als County Commissioner zu kandidieren und damit gegen seinen Vorgesetzten anzutreten, hatte ihrer Beziehung einen schweren Dämpfer erteilt.
Hinter ihm war Pauls treue Sekretärin Edith Donnovan, die Julia voller Wut ansah. Anstatt ihr Beileid auszusprechen, flüsterte Edith dem Bürgermeister etwas ins Ohr, dann ging sie fort.
“Was für eine schreckliche Sache.” Mit ernster Miene drückte er Julias Hand und sah dann zu Andrew, der inzwischen wieder an ihre Seite zurückgekehrt war. “Ich möchte, dass ihr beide wisst, dass ich weder Kosten noch Mühen scheuen werde, um herauszufinden, wer das getan hat.”
“Danke, Barry.” Julia hatte Specter noch nie leiden können. Und sie vertraute ihm auch nicht. Man musste keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um zu wissen, dass ihn Pauls Tod nicht im Geringsten berührte. Wahrscheinlicher war da schon, dass er ihn gefeiert hatte. Da ein so bemerkenswerter Konkurrent aus dem Weg geräumt worden war, konnte er nahezu sicher sein, zum neuen County Commissioner gewählt zu werden.
Andrew zupfte an ihrem Ärmel. “Gehen wir jetzt zu Grandpa nach Hause, Mom?”
Julia hätte am liebsten Nein gesagt. Der Gedanke, sich unter Leute zu mischen, die sie so sehr ablehnten, die sie anstarrten und abfällige Bemerkungen über sie machten, war mehr, als sie eigentlich ertragen konnte.
Aber Andrew ging offensichtlich davon aus, mehr Zeit mit seinem Großvater zu verbringen, und sie wollte ihn nicht enttäuschen. Und sie wollte Charles keinen Grund zu weiterer Kritik geben. Und wer konnte es schon wissen? Vielleicht würde ihr Exschwiegervater in diesem Augenblick der Trauer sogar die Vergangenheit ruhen lassen und sich ihr gegenüber zivilisiert verhalten.
“Ja, Andrew. Entschuldigen Sie uns bitte”, sagte sie zu Specter.
“Natürlich.”
Während der Bürgermeister und sein kleines Gefolge weiterzogen, wandte sich Julia ihrer Mutter zu. “Kommst du auch mit, Mom?” Sie beugte sich zu Grace vor und
Weitere Kostenlose Bücher