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Unschuldig!

Unschuldig!

Titel: Unschuldig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Heggan
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flüsterte: “Ich könnte ein wenig moralische Unterstützung gebrauchen.”
    Grace nickte verständnisvoll.
    Während die Trauergäste auf die lange Reihe wartender Fahrzeuge zustrebten, die den Fahrbahnrand säumte, legte Julia ihre Arme um Andrews Schultern und ging mit ihm zu ihrem Volvo.
    Das Anwesen der Bradshaws, das den Blick auf die Bucht von Monterey erlaubte, war von Charles' Vater gebaut worden, einem Mann mit einem Geschmack, der so verschwenderisch wie protzig war. Das pompöse viktorianische Haus beherbergte zweiundzwanzig Zimmer und tonnenweise Antiquitäten, deren Vergangenheit so schillernd war wie die der Familie selbst. Hinter dem Anwesen befand sich ein prachtvoller Rosengarten, den Pauls Mutter angelegt hatte, als sie und Charles vor vierzig Jahren in das Haus gezogen waren. Nach Sarah Bradshaws Tod 1982 hatte man die von ihr begründete Tradition fortgeführt, den Garten einmal im Jahr für das Publikum zu öffnen. Es war ein Ereignis, das Neugierige noch immer zu Tausenden anlockte.
    Pilar, Charles' langjährige Haushälterin, inspizierte gerade den Buffettisch, als Julia eintraf. Sie war eine kleine, rundliche Frau mit vollem grauen Haar, dunkler Hautfarbe und liebevollen Augen. Sie war eigensinnig und freimütig, und damit war sie Charles' größte Verfechterin und heftigste Kritikerin zugleich. Ihre hitzigen Streitereien waren legendär, und viele fragten sich, wieso Charles ein solches Verhalten von einer Bediensteten tolerierte.
    Tatsächlich war es aber so, dass Pilar trotz ihres aufbrausenden Temperaments zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Bradshawschen Haushalts geworden war und dass Charles ohne sie einfach nicht zurechtkam.
    Die Haushälterin sah auf, entdeckte Julia und eilte zu ihr, um sie und Andrew zu begrüßen und ihr Beileid auszusprechen.
    “Wie geht es Ihnen?” fragte Julia, die wusste, wie sehr Pilar Charles' Kinder geliebt hatte.
    “Es ist ein trauriger Tag,
señora.”
Pilar sah zu Andrew und legte eine Hand auf seine Schulter. “¿
Y tu, pequeño?”
, fragte sie in dem Spanisch, das sie ihm im Lauf der Jahre beigebracht hatte. “¿
Como estas?”
    “Ich bin schon fast sieben”, erwiderte er. “Du musst nicht mehr
pequeño
zu mir sagen.”
    Pilar lachte glucksend. “Tut mir Leid, großer Mann”, sagte sie mit ihrem spanischen Akzent. “Ich werde versuchen, mir das zu merken. Kann ich dir in der Zwischenzeit etwas zu essen bringen? Eine Limonade?”
    Andrew schüttelte den Kopf. “Nein, danke, Pilar.”
    “¿Como?”
Pilar legte eine Hand an ihr Ohr. “Ich habe dich nicht richtig verstanden.”
    Andrew lächelte. “
No, gracias, Pilar.”
    “Schon besser.” Sie zerwühlte sein Haar. “Und Sie, Mrs. Bradshaw? Mrs. Reid? Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen einen Teller zusammenstellen kann.”
    Julia schüttelte den Kopf. Ihr Magen befand sich in einer so festen Umklammerung, dass sie nichts hätte runterkriegen können. “Wir bleiben nicht lange.” Julias Blick wanderte durch den Raum auf der Suche nach Charles. Sie hatte ihm bislang noch nicht ihr Beileid aussprechen können, und diese Tortur wollte sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. “Es war ein anstrengender Tag für Andrew, er gehört nach Hause.”
    “Er gehört hierher”, sagte eine kühle Stimme hinter ihnen. “Zu mir.”
    Julia, dankbar dafür, dass Pilar und Grace Andrew rasch mitnahmen, drehte sich um und stellte sich ihrem ehemaligen Schwiegervater. Mit sechsundsechzig Jahren war Charles Bradshaw immer noch ein imposanter Mann. Er war gut über 1,80 Meter groß und besaß einen athletischen Körper, den er durch tägliche Tennispartien in Form hielt. Die scharfen blauen Augen hatten den Ausdruck eines Jägers. Mit zusammengepressten Lippen stand er vor ihr und durchbohrte sie mit seinem unerbittlichen Blick, als fordere er sie heraus, sich ihm zu widersetzen.
    Julia hatte nicht vor, sich von ihm einschüchtern zu lassen. Die Zeiten, als sie bei seinem bloßen Anblick zurückwich, waren lange vorüber. “Andrew muss trauern, Charles, das braucht aber nicht öffentlich zur Schau gestellt zu werden.”
    “Was weißt du schon über das Trauern? Du hast meinen Sohn getötet.”
    “Das habe ich nicht.” Weil sie es hasste, eine Szene zu machen, sprach sie kaum lauter als ein Flüstern. “Und das weißt du.”
    Charles gab einen sarkastisch klingenden Laut von sich. “Deine ganze falsche Aufrichtigkeit hat vielleicht die Polizei beeindruckt, aber mich täuschst du

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