Unschuldig!
aus der Flasche.
Wenn von Zeit zu Zeit ein Motorboot den Intracoastal Waterway entlangfuhr, schlugen Wellen gegen den Rumpf der “Time Out”, seines Hausbootes, das jetzt sein Zuhause war.
Hinter den dunklen Gläsern seiner Pilotensonnenbrille hielt er die Augen geschlossen, nahm aber jedes Geräusch und jede Bewegung um sich herum wahr. Das war eine Angewohnheit, die er sich früh in seiner journalistischen Karriere zu Eigen gemacht und nie wieder abgelegt hatte.
Zwar hatte er sich am Morgen rasiert, doch die dunklen Bartstoppeln, die ein Vermächtnis seiner kubanischen Herkunft waren, bildeten bereits wieder einen deutlich erkennbaren Bartansatz. Sein dichtes schwarzes Haar, das zum größten Teil unter der Baseballkappe verborgen war, war schon seit Wochen nicht mehr mit der Schere eines Friseurs in Berührung gekommen und begann sich im Nacken bereits zu wellen, was ihn aber nicht störte. Hier im Hafen von Fort Lauderdale, wo er die letzten sieben Jahre verbracht hatte, regierte der lässige Look.
Gleich neben der “Time Out” pulsierte T-Bones 12-Meter-Schaluppe zum Rhythmus von Salsa-Musik und von weiblichem Gelächter. Der preisgekrönte Wrestler war ein alter Freund, und obwohl Steve zur wöchentlichen Party eingeladen war, hatte er wieder einmal abgesagt. Im Gegensatz zu seinem prahlerischen Nachbarn, der sich gerne mit Lärm, Musik und schlanken Körpern umgab, blieb Steve Reyes lieber für sich.
“Hey, schöner Mann, wie wärs mit ein bisschen Spaß?”
Als Steve die verlockende, weibliche Stimme hörte, öffnete er erst ein Auge, dann das andere.
Am Bug der Luxusschaluppe stand eine langbeinige Blondine in einem aufreizenden pinkfarbenen Bikini und lächelte ihn verführerisch an, während sie sich so über die Reling beugte, dass er einen Blick auf ihren Brustansatz werfen konnte, der sogar einem Halbblinden nicht entgangen wäre.
“Nächstes Mal”, sagte er, zog seine Kappe tiefer ins Gesicht und schloss wieder die Augen.
Er wäre wohl eingedöst, doch als ein Schatten plötzlich die Sonne verdeckte, öffnete er wieder seine Augen.
Jesus Delgado stand vor ihm, ein kleiner, schmaler Mann mit einer umgänglichen Persönlichkeit und einer Leidenschaft für die See. Von Berufs wegen war er Schauspieler, aber um Geld zu verdienen, arbeitete er als Handwerker. Der gebürtige Kubaner teilte seine Zeit auf in Vorsprechtermine und auf den Hafen von Fort Lauderdale, wo er alle möglichen Gelegenheitsarbeiten erledigte.
Steve war ihm an dem Tag begegnet, als er zur Schiffswerft gekommen war, um nach einem Hausboot zu suchen. Delgado hatte ihm daraufhin eine 17 Meter lange Kingscraft gezeigt, ein Angebot des Handwerkers, das der Eigentümer sprichwörtlich für einen Apfel und ein Ei verkaufen wollte.
“Ich würde dir gerne helfen, sie wieder in Form zu bringen”, hatte Delgado ihm mit diesem ansteckenden Lächeln angeboten. “Und wenn sie fertig ist, kann ich sie für dich bemannen. Mit einem solchen Boot kann man hier eine Menge Geld machen. Du kannst Touristen zu den Keys bringen oder Angelausflüge anbieten oder einfach nur vor der Küste auf und ab fahren.”
Innerhalb weniger Wochen hatten Steve und Delgado aus der “Time Out” ein seetüchtiges, ansehliches Wasserfahrzeug gemacht, in der gleichen Zeit waren die beiden Männer zu guten Freunden geworden.
Steve setzte wieder die Flasche Corona an den Mund und nahm einen Schluck. “Du stehst mir im Licht, Amigo.”
Delgado rührte sich nicht von der Stelle. “Am Kassenhäuschen wartet ein Gringo, der dich sehen will.”
“Sag ihm, dass die morgige Fahrt ausgebucht ist.”
“Er will nicht fischen. Er sagt, sein Name sei Tim Malloy.”
Steve stöhnte auf. Er hatte seinen früheren Verleger seit sieben Jahren nicht mehr gesehen, seit dem Tag, an dem er bei der
New York Sun
gekündigt hatte und nach Florida gezogen war. Tim rief gelegentlich an, meistens wollte er, dass Steve eine Geschichte übernahm, die angeblich nur er machen konnte. Er lehnte jedes Mal ab.
“Und?” fragte Delgado. “Wer ist der Kerl?”
“Eine Nervensäge.”
Delgado kicherte. “Das glaube ich dir. Er sagt, dass er so lange warten wird, bis er mit dir gesprochen hat.”
“Sturer Hurensohn.” Steve drehte den Kopf um und konnte einen Blick auf Tim erhaschen. Der Verleger saß breitbeinig auf einem Klappstuhl und wischte sich mit einem Taschentuch über Gesicht und Nacken, das mittlerweile schweißgetränkt sein musste.
“Ach, was solls”,
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