Unschuldig!
Rache. Du hast dich von deiner Wut leiten lassen und bist deshalb gescheitert. Diesmal wird es anders sein.”
Mit der Bierflasche in der Hand stand Steve auf und ging hinüber zur Reling am Bug. Er konnte ein Dutzend Gründe nennen, warum er Malloys Angebot ablehnen sollte. Der wichtigste Grund war, dass er sich hier ein schönes und bequemes Leben aufgebaut hatte. Es gab Tage, an denen er sich fast einreden konnte, dass er glücklich war. Oder zumindest zufrieden.
“Ich bin nicht sicher, ob ich das machen kann, Tim.” Er sah weiter in Richtung Horizont. “Es ist schon eine Weile her, dass ich als investigativer Reporter gearbeitet habe. Ich bin etwas eingerostet.”
“Reporter wie du rosten nie ein, Steve. Das, was du für vergessen hältst, kommt dir sehr schnell wieder in Erinnerung.”
Steve lachte laut und kehlig. “Du bist ziemlich von dir überzeugt, was?”
“Nein”, antwortete Tim ruhig. “Ich bin von dir überzeugt.”
Trotz seiner Vorbehalte konnte Steve bereits fühlen, wie das Adrenalin in seinen Körper gepumpt wurde, so wie in den guten alten Tagen. Delgado würde nur zu gerne für ein paar Tage einspringen, was die Charterfahrten anging. Er würde keine Fragen stellen. Seine Mutter würde schwerer zu überzeugen sein. Sie neigte dazu, sich übermäßig Sorgen um ihre erwachsenen Kinder zu machen, und es würde ihr nicht gefallen, wenn sich Steve wieder an die Spur von
Gleic Éire
heftete.
Wieder machte sich Stille breit, während er seine Gedanken ordnete und dabei wusste, dass er ohnehin niemals Seelenfrieden finden würde, solange diese Männer nicht gefasst waren.
Schließlich sah Steve seinen Verleger an und grinste schief. “Hast du gesagt, du würdest mein Gehalt verdoppeln?”
Tims dröhnendes Lachen übertönte fast die Musik vom Boot nebenan. “Habe ich. Ich und meine große Klappe.”
“Dann bin ich dabei.”
“Fantastisch.” Als hätte er nie am Erfolg seiner Reise gezweifelt, zog Tim einen dicken Umschlag aus seiner Jackentasche und gab ihn Steve. “In dem Umschlag findest du ein Flugticket, tausend Dollar in bar, eine Kreditkarte und eine Buchung in der 'Hacienda', dem Gasthaus, das Julia Bradshaw gehört und von ihr betrieben wird. Dein wöchentlicher Scheck wird dir mit Federal Express jeden Freitag ins Gasthaus geschickt. Schrei, wenn du sonst noch was brauchst.”
Er warf einen Blick in den Umschlag. Tim war so gründlich gewesen wie immer und hatte einen Bericht und ein Foto von Julia Bradshaw beigelegt. Steve nahm sich einen Augenblick Zeit, um das attraktive Gesicht zu studieren. “Was kannst du mir über Bradshaws Exfrau sagen?” fragte er, fasziniert von diesen unglaublichen Augen.
Tim deutete auf den Umschlag. “Ist alles da drin. Du kannst es im Flugzeug lesen.” Seine Mission war abgeschlossen, und er stand auf. “Deine Maschine geht morgen früh um acht Uhr.”
10. KAPITEL
S teve wusste, dass er im Umkreis von fünf Häuserblocks keinen Parkplatz finden würde, also wartete er, bis ein Lieferwagen aus der Lücke in der Calle Ocho abgefahren war, um dann seinen zehn Jahre alten Jaguar in der Lücke abzustellen.
Das Viertel Little Havana in Miami war eine Kombination aus Bildern, Geräuschen und Gerüchen, die es sonst auf der Welt nur in Havanna selbst gab. Aber erst während des hektischen Treibens am späten Nachmittag begann dieses kubanische Viertel richtig aufzublühen.
Mit den Händen in den Taschen ging Steve eine bevölkerte Hauptverkehrsstraße entlang und steuerte auf das Haus seiner Mutter in der 31st Street zu.
Er war gerade einmal zwei Jahre alt gewesen, als seine Eltern mit ihm aus Castros Kuba geflohen und nach Miami eingewandert waren. Alles, was er über Havanna wusste, war gleich hier, in der Luft, die voll war vom Aroma des
Café Cubano
, in den Geschäften, in denen man alles von religiösen Artefakten bis hin zu
Cocofrio
kaufen konnte, einer eiskalten Kokosnussmilch, die bei den Touristen sehr beliebt war, und im Domino Park, wo alte Männer in weißer Baumwollkleidung Domino spielten, während sie in Erinnerungen an ihre alte Heimat schwelgten.
Steves Großvater hatte davon gesprochen, eines Tages nach Kuba zurückzukehren, in ein freies Kuba, in dem Angst und Unterdrückung nicht länger existierten. Doch Steves Vater Luis Reyes hatte es besser gewusst. Nach dreißig Jahren ohne eine Veränderung in Castros Politik hatte Luis die Hoffnung aufgegeben, je wieder seine Heimat zu sehen.
Zu dieser Zeit hatte er
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