Unschuldig!
sie an. “Ich wollte es auch nicht. Erst recht nicht nach allem, was er durchgemacht hat.”
“Und so wie immer”, sagte Grace spitz, “hat Coop die Situation ausgenutzt.”
Von einer Loyalität gegenüber ihrem Vater getrieben, die sie nicht erklären konnte, schüttelte Julia den Kopf. “Nein, das hat er nicht. Nachdem ich ihm meine Meinung gesagt hatte, ist er zurück zu seinem Motel gegangen. Erst als mir Steve von seinem Vater …”
Grace zog die Augenbrauen zusammen. “Was hat Steves Vater damit zu tun?”
“Er ist gestorben. Bevor Steve seine Differenzen mit ihm beilegen konnte. Ich habe mich gefragt, was wäre, wenn Coop sterben würde? Vielleicht im Motel, keinen Kilometer von meinem Haus entfernt? Wie würde ich mich fühlen? Wie würde ich das meinem Sohn erklären?”
“Und jetzt ist Coop in deinem Haus und plündert unter Garantie deinen Spirituosenvorrat oder stiehlt dir dein Geld. Oder beides.”
“Das wird er nicht. Nicht, solange er in der Nähe von Andrew ist. Außerdem ist er trocken. Er geht zu den Anonymen Alkoholikern.”
Grace gab einen sarkastischen Laut von sich. “Und wie lange soll das anhalten?”
“Ich weiß es nicht, Mom, aber er hat es einen ganzen Monat lang geschafft. Das ist vielleicht nicht viel, doch es ist wenigstens etwas. Vielleicht schafft er es diesmal mit ein wenig Hilfe, auf Dauer durchzuhalten.”
“Er wird dir wehtun, ganz sicher”, gab Grace kühl zurück. “Und er wird Andrew wehtun. Vielleicht nicht absichtlich, aber er wird es machen. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Und bring ihn nicht her.” Ihr Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, den Julia nur zu gut kannte. “Ich möchte ihn nicht sehen.”
Das Geräusch eines Wagens, der in die Einfahrt fuhr, unterbrach sie. Grace ging zum Fenster und schob die weiße Gardine zur Seite. “Ich sehe mal, wer das ist.”
Julias Blick folgte ihrer Mutter, bis sie außer Sichtweite war, dann wanderte er langsam durch das Zimmer. Abgesehen von dem Fehlen des Hochzeitsfotos ihrer Eltern, das vor langer Zeit weggestellt worden war, hatte sich im Haus überhaupt nichts verändert. Grace hatte alles unberührt gelassen, nicht einmal die Möbel verrückt. Sie hatte es machen wollen, oft sogar, um die Vergangenheit auszulöschen. Aber jedes Mal, wenn Julia oder Jordan angeboten hatten, ihr zu helfen, fand sie immer irgendeine Ausrede, um es auf ein anderes Mal zu verschieben.
Es war ein gutes Zuhause, dachte Julia, während ihr Blick all die vertrauten Stellen erfasste. Der Geruch, eine Mischung aus Schokoladenkeksen und Möbelpolitur, war noch immer da und weckte schöne Erinnerungen. Dieses Haus hatte glückliche Zeiten genauso wie verzweifelte erlebt.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen vom Geräusch der Haustür, als die ins Schloss fiel. Dann kehrte Grace ins Wohnzimmer zurück und trug einen Schuhkarton.
“Was ist das?” fragte Julia.
“Jordans Audiocassetten. Ich hatte dir doch erzählt, dass Paul sie sich letzten Monat ausgeliehen hatte, weil er hoffte, dass sie ihm bei seiner Arbeit in der Kommission zur Verbrechensbekämpfung helfen könnten.” Sie stellte den Karton vor sich auf den Tisch. “Detective Hammond hat sie in Pauls Haus entdeckt und mitgenommen als potenzielles Beweisstück.”
“Hat er was gefunden?”
“Offenbar nicht. Das war einer von seinen Männern. Er hat gesagt, Detective Hammond sei damit durch und ich könne die Kassetten jetzt zurückhaben.”
Julia erinnerte sich nur zu gut an Jordans Leidenschaft für ungelöste Verbrechen. Er war genauso penibel wie stur und verbrachte Tage, manchmal Wochen damit, Polizeiakten durchzugehen, jedes Beweis zu inspizieren, die verschiedenen Zeugenaussagen zu lesen, um dann seine Erkenntnis auf Band zu sprechen. Ein- oder zweimal hatte sich seine Ausdauer bezahlt gemacht, als er einen Fall lösen konnte. Aber meistens machte er es aus bloßer Freude am Ermitteln.
Julia beugte sich vor und las die Aufkleber, die Jordan von Hand beschriftet hatte. Plötzlich stutzte sie. “Warte mal. Hast du mir nicht gesagt, du hättest Paul acht Kassetten gegeben?”
“Ja.”
Julias Finger gingen rasch über die Kassetten. “Das sind nur sieben.”
“Wie ist denn das möglich?” Grace zählte die Bänder nach, dann sah sie Julia an. “Meinst du, Detective Hammond hat es gefunden und mir nichts davon gesagt?”
Julia griff bereits nach dem veilchenblauen Telefon auf dem Beistelltisch. “Das möchte ich gerade
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