Unschuldig!
sie ihn schon vor langer Zeit aus ihrem Leben gestrichen hatte und nicht beabsichtigte, ihm zu vergeben.
Was hatte er auch erwartet? Einen Empfang wie für einen Helden?
Wutschnaubend ging er durch das Zimmer, als sein Blick auf dem Nachttisch hängenblieb, wo ein Brief gegen die kleine Tischlampe gelehnt stand. Er war an Julia gerichtet. Er würde ihn morgen in die Post geben. Eine letzte Entschuldigung an die Tochter, die er liebte, und dann würde er sich auf den Weg machen und sie nie wieder belästigen.
Auch wenn er tief in seinem Herzen einen Schmerz fühlte, war er froh, dass er die Gelegenheit bekommen hatte, Andrew zu begegnen, selbst wenn es nur eine kurze Begegnung war. Was für ein großartiger Junge. Allein ihn zu sehen, wie er diesem freundlichen Reporter den Ball zuwarf, hatte ihn zutiefst berührt. Und jetzt hatte er Andrew auch noch verloren.
Du hast nichts anderes verdient, alter Mann.
Jemand klopfte an der Tür und riss ihn aus seinem Selbstmitleid. “Wer ist da?” fragte er, während er eine Hand auf den Türgriff legte. Wenn es eine Sache gab, die er sich aus seiner Zeit als Trinker gemerkt hatte, dann war es die, sich vor Räubern zu hüten.
Es folgte eine kurze Stille, dann sagte eine Stimme, von der er geglaubt hatte, er würde sie nie wieder hören. “Ich bins. Julia.”
Sie saßen im Salon, jeder an einem Ende des großen roten Sofas. Nachdem Steve bei Andrew geblieben war, um auf ihn aufzupassen, bis er eingeschlafen war, hatte sie sich mit ihrem Vater für ein klärendes Gespräch zusammengesetzt.
Fast eine Stunde lang hatte sie nach dem Gespräch mit Steve mit sich selbst gerungen, und die meiste Zeit über hatte sie sich einfach nur ihrem Zorn hingeben wollen, anstatt sich schuldig zu fühlen. Ihre Wut war das Einzige, was sie tröstete, und die würde ihr verdammt noch mal niemand abnehmen.
Erst als Andrew sich noch immer geweigert hatte, aus seinem Zimmer zu kommen, war ihr klar geworden, wie gravierend ihre Entscheidung sich auf ihn auswirkte. Der Junge trauerte noch immer um seinen Vater, und sie nahm ihm auch noch den Großvater weg, dem er gerade erst begegnet war.
Und so seltsam es auch war – sie fühlte sich ihrem Vater gegenüber genauso schuldig. Hierher zu kommen hatte von seiner Seite sehr viel Mut erfordert. Wenn sie nicht so sehr von ihrer Wut eingenommen gewesen wäre, hätte sie das erkannt. Und sie hätte auch gemerkt, dass unter dieser Wut ein viel mächtigeres Gefühl verborgen lag, nämlich Liebe.
Die Erkenntnis, dass sie ihn noch immer liebte, hatte sie überwältigt. Ein paar Minuten darauf hatte sie sich – zitternd, aber entschlossen – auf den Weg zum Monterey Arms gemacht, um mit ihrem Vater zu reden.
Ihr Vater. Sie hatte das Wort immer und immer wieder gesprochen, erst nur in Gedanken, dann aber laut, als müsste sie sich mit dem Klang wieder vertraut machen, bevor sie es wirklich benutzen konnte.
Jetzt, wo die Wut verraucht war, wollte sie alles erfahren, von den täglichen Besäufnissen über die gelegentlichen Aufenthalte in Obdachlosenunterkünften bis zu jenem erschreckenden Augenblick, als Coop im Gefängnis gelandet war, ohne sich an die Umstände erinnern zu können, die dazu geführt hatten.
Sie unterbrach ihn nicht, sie kommentierte nichts, nicht einmal, nachdem er geendet hatte.
“Jetzt bist du an der Reihe”, sagte Coop und nahm seine Kaffeetasse.
Sie erzählte ihm alles, was er wissen wollte, wartete auf seine Fragen, beantwortete sie, so gut sie konnte. Von Pauls Misshandlungen erwähnte sie nichts, und auch Jordan brachte sie nicht zur Sprache. Das würde Coop machen müssen.
Sie waren mittlerweile bei der dritten Tasse Kaffee, als er schließlich sagte: “Erzähl mir von Jordan. Wie war er?”
Julia brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. “Gut aussehend, liebevoll, witzig. Er hat es geliebt, den Leuten zu helfen. Darum wurde er auch Polizist.” Julia lächelte. “Ich wette, Spike hat dir nicht erzählt, dass Jordan die Polizeiakademie mit Auszeichnung abgeschlossen hatte.”
Coop schüttelte den Kopf.
“Nachdem er Detective geworden war, wurde er in die Rauschgiftabteilung versetzt und hat mit Frank Walsh zusammengearbeitet.”
“Sein Idol.”
“Ja, weil Frank immer da war – für jeden von uns. Wie ein großer Bruder.”
Coop drückte eine Fingerspitze gegen seine Augenwinkel, als wolle er eine Träne aufhalten. “Ich bin froh, dass ihr Kinder jemanden hattet, zu dem ihr aufsehen
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