Unschuldiges Begehren
»Wollt ihr nicht endlich reinkommen?«
»Sofort!«, rief Hailey mit aufgesetzter Fröhlichkeit und wirbelte so schnell herum, dass ihr Rock um ihre Beine schwang. »Fühlen Sie sich wie zuhause, Mr Scott. Im Kühlschrank sind kalte Getränke für Sie und Faith.«
»Ich komme lieber mit Ihnen«, meinte Faith. Sie hatte bereits durch die Tür von Haileys Schlafzimmer gespäht, das sie offenkundig völlig faszinierend fand.
»Okay, du kannst was zum Anziehen für mich raussuchen.«
»Echt?«, wollte das Mädchen begeistert wissen und lief los.
Bis Hailey durch die Tür des Zimmers trat, hatte sich Faith bereits den gesamten Inhalt ihres Schrankes angesehen. »Das hier«, sagte sie und nahm dabei ein leichtes Sommerkleid, an dem noch das Preisschild hing, vom Bügel.
»Oh, ich weià nicht.« Hailey zögerte. Sie hatte sich das Kleid Anfang des Sommers aus einem Impuls heraus gekauft, es aber noch nicht einmal angehabt. Weil bisher noch nie die passende Gelegenheit dafür gewesen war und das Kleid mehr Haut zeigte, als sie normalerweise sehen lieÃ. Ellen hatte sie schon angebettelt, ihr das Kleid zu schenken, doch aus irgendeinem Grund hatte sie es nicht herausgerückt. Vielleicht einfach, da sie dachte, solange dieses Kleid in ihrem Schrank hing, wäre nicht zur Gänze ausgeschlossen, dass in ihrem für gewöhnlich langweiligen Leben doch noch einmal irgendetwas Aufregendes geschah â¦
»Aber es ist wunderschön«, erklärte Faith.
Das passendere Adjektiv wäre wahrscheinlich chic, ging es Hailey durch den Kopf. Der blaue Jeansstoff hatte einen weiÃen Lochspitzensaum, und die tief sitzende Taille gestattete dem vollen Rock, dass er an
genau den richtigen Stellen um die Hüften schwang. Unter den Rüschen am unteren Saum des bis auf die Waden fallenden Gewands lugte die Lochspitze des Unterrocks hervor, und das enge Oberteil, das mit hauchdünnen Spaghettiträgern ausgestattet war, verlangte entweder nach einem trägerlosen Büstenhalter oder einer nackten Brust. Und da Hailey keinen Büstenhalter ohne Träger hatte â¦
»Nun â¦Â«
»Bitte, Hailey. Bitte ziehen Sie es an.«
Da sie Faiths Gefühle nicht verletzten wollte, gab sie nach. Und vor allem wäre es vollkommen lächerlich, wenn sie das Kleid nicht endlich einmal anziehen würde. Der Sommer war praktisch vorbei, vielleicht würde sich ihr nicht noch einmal die Gelegenheit dazu bieten, in einem solchen Aufzug auszugehen, und im nächsten Sommer wäre das Modell wahrscheinlich gar nicht mehr modern.
Obwohl der Stoff sehr dünn war und sie kaum etwas darunter tragen würde, zöge sie das Kleid bestimmt nicht Mr Scott zuliebe an. Und falls er ihre Motive falsch interpretierte, fände er noch schnell genug heraus, dass er im Irrtum war.
Das Mädchen plapperte fröhlich, und Hailey zog sich im angrenzenden Badezimmer um. Das Kleid brachte ihre schlanke Figur perfekt zur Geltung und schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihre Brüste.
Sie bürstete ihr Haar, und während sie es noch mit ein paar dekorativen Kämmen schmückte, klopfte ihre kleine Freundin neugierig an ihre Badezimmertür und
fragte sie in hoffnungsvollem Ton: »Darf ich hereinkommen?«
»Sicher«, lud Hailey das Mädchen zu sich ein, und Faith verfolgte fasziniert, wie sie frisches Make-up auf ihre Wangen gab. Sie war vorwitzig und neugierig und mischte sich in alles ein, aber zugleich war sie einfach ein reizendes Geschöpf. Offenbar lag ihr sehr viel an der Meinung einer Frau bezüglich ihres eigenen Erscheinungsbilds, und ohne ihre Mutter schien es keinen Menschen mehr zu geben, der sich mit ihr über derartige Dinge unterhielt.
Hailey bat sie, ihr dabei zu helfen, ein Paar Schuhe auszusuchen, zog die vorgeschlagenen Sandalen mit den schmalen Riemchen an, besprühte erst sich selbst und dann das Kind mit einem Hauch Chanel und war gerührt, als Faiths verzückte Miene deutlich machte, wie bedeutsam diese Geste für das Kind gewesen war.
Eines wusste Hailey mit Bestimmtheit: Dieses Kind betete seinen Vater an. Faith begann fast jeden Satz mit »Daddy sagt«, »Daddy denkt« und »Daddy hat«, und ihr Verlangen, von ihm akzeptiert und anerkannt zu werden, tat Hailey in der Seele weh.
Nachdem sie fertig waren, kehrten sie ins Wohnzimmer zurück, wo sich Tylers dunkle Silhouette vom
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