Unschuldslamm
warten.
Als sie den Gast abkassiert hatte, meldete sie sich. »Was gibt’s?«
Er lachte auf. »Du hast die Messer in die Schublade gelegt.«
»Was? Ich …« Ruth war einen Moment verwirrt, aber dann wusste sie, was er meinte. Sie hatte das Kriegsbeil begraben. Wenn ihr Ex anrief, war sie normalerweise auf Angriff gebürstet, ohne überhaupt zu wissen, was er wollte. Heute war sie neugierig gewesen, warum er sich nach Freitag so schnell wieder meldete.
»Schieß los«, entgegnete Ruth, sie wollte nicht zugeben, dass er recht hatte.
»War schön am Freitag.« Johannes’ Stimme hatte plötzlich diesen spezifischen Schmelz, und Ruth ertappte sich dabei, dass sie automatisch lächelte und sich durch die Haare fuhr. Ärgerlich fuhr sie ihn an: »Mach’s kurz, Johannes. Ich bin bei der Arbeit. Was willst du?«
»Ich will gar nichts.« Sie spürte durchs Telefon, dass er lächelte. Er spannte sie auf die Folter und genoss es. Typisch Johannes. Er war gut drauf, hatte Oberwasser. Nur, weil sie einen Abend miteinander geredet hatten, wie Erwachsene, die sich mögen! Ruth erinnerte sich daran, dass Johannes sie noch nach Hause begleitet hatte. Auf dem Weg in die Oldenburger Straße hatte er das Thema gewechselt und war auf seine Beziehung mit Mona zu sprechen gekommen. Der Haussegen hing schief. Seit er den Job verloren hatte, vielleicht aber auch schon, seit das Baby da war. Ruth hatte Johannes’ Wehklage an sich abperlen lassen, es war allzu offensichtlich, dass er Trost und Zuspruch bei ihr gesucht hatte. Aber diesen Gefallen wollte sie ihm nicht tun. Natürlich war sie auf seine Neue nicht gut zu sprechen. Mona war ihr zu forsch, zu straight, zu sehr auf Konkurrenz getrimmt. Aber es lag Ruth nichts ferner, als Johannes’ junger Frau in den Rücken zu fallen und sich auf diesem Weg späte Genugtuung zu verschaffen.
Als sie hörte, wie sehr Johannes sich nun bemühte, charmant zu sein, stellte Ruth aus innerer Abwehr die Stachel hoch. Das fehlte ihr noch, dass Johannes in prekärer Lage plötzlich wieder angekrochen kam! Sie war fest entschlossen, jedweden Annäherungsversuchen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Jo – ich flirte nicht mit dir. Lass es ein. Weshalb rufst du an?«
»Ich hab was für dich.« Beleidigte Leberwurst. Schmelz und Charme waren sofort verschwunden. »Ich hab mich an was erinnert. Ist schon wirklich lange her.«
»Mach’s nicht so spannend.«
»Okay.« Trotzdem legte er eine Pause ein. »Du weißt ja, dass ich, also wie gesagt, es ist schon ewig her, aber dass ich die Bucherer ein scharfes Teil fand.«
»Ja«, gab Ruth zurück, »und das, obwohl du schon mit Mona zusammen warst.«
»Ähm. Und jedenfalls habe ich mich mal mit einem Kollegen über sie unterhalten. Ganz zufällig.«
Ruth schloss genervt die Augen. Der Zufall hatte vermutlich so ausgesehen, dass Johannes mit dem bewussten Kollegen in der Paris Bar gesessen hatte, beim fünften Glas irgendwas, und nicht nach Hause gehen wollte, weil seine Frau dort wartete, mit einem schreienden Baby im Arm. Und bei dieser »Redaktionssitzung« hatten sich die Journalistenkollegen dann über die scharfen Bräute in ihrem Leben unterhalten. Die natürlich nicht die scharfen Bräute waren, die zu Hause auf die beiden Hengste warteten. Aber Ruth verkniff sich jedwede spitze Bemerkung. Sie war neugierig geworden.
»Klar«, gab sie stattdessen knapp zurück.
»Ja, und der kannte die. Das war ein Typ aus dem Feuilleton, der kannte die ganze Boheme-Clique um den Savignyplatz.«
»Okay …?!«
Der Stolz schwang in Johannes’ Stimme mit, als er die Bombe platzen ließ.
»Sibylle Bucherer wurde schon mal verurteilt wegen schwerer Körperverletzung. Sie hat einer Frau vier Vorderzähne ausgeschlagen. Ich schick dir nachher ’ne Mail über den Vorfall.«
»…«
»Ach, und Süße?«, flötete ihr Ex nun in den Hörer, »ich habe vorhin das Geld für Annikas Klassenfahrt angewiesen.« Er legte auf, und Ruth starrte fassungslos auf das Handy in ihrer Hand.
Überraschende Wendung im
»Ehrenmord«-Prozess
TAGESSPIEGEL IM JANUAR
Ein Raunen ging am Freitag durch die Reihen der Zuschauer und Journalisten im großen Saal 500 des Berliner Kriminalgerichtes. Der Prozess gegen Aras D., der angeklagt ist, seine Schwester Derya im vergangenen Sommer im Blutrausch erstochen zu haben, nahm eine überraschende Wendung. Der deutsche Freund von Derya, der Schüler Valentin B., sagte aus, dass er unter dem Druck seiner Mutter eine Falschaussage
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