Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
Weil Mark-Rüdiger mich gut kannte, hatte er noch ein kleines persönliches: »Und gute Laune mit dazu!« in gestochen scharfer Schrift dazugeschrieben. Mark-Rüdigers Hochzeit war nach Ansichten aller Ostwestfalen »schön«. Man feierte bei Borgmanns, einer alteingesessenen Lübbecker Gastwirts-Familie, womit man eigentlich nichts falsch machen konnte. Das Essen war gut bürgerlich, das Geschirr schlicht und die Deko im ostwestfälischen Understatement-Style (Ikebana, weil das wegen der wenigen Blumen weniger kostspielig ist). Es wurden die üblichen Spiele gemacht (Bräutigam blind an seinen Waden erkennen, Braut in Klopapier einwickeln, Luftballons mit Wunderkerzen steigen lassen), und der Teutonenchor, dem Mark-Rüdigers Eltern über vierzig Jahre lang die Treue gehalten hatten, schmetterte seinen Evergreen »Ein schöner Tag« (eine ostwestfälische Übersetzung von »Amäsing Gräß«). Es war ein »harmonisches Fest«, wie viele sagten. Um eins waren alle im Bett, und neun Monate später wurde Susanne-Caroline geboren. Allerdings sollte die Hochzeit Mark-Rüdiger und damit auch seine Frau noch jahrelang beschäftigen. Waren die Rotenrodts von nebenan nicht doch pikiert gewesen, weil man nicht im edleren Forellenhof gefeiert hatte? Gleichzeitig gingen ihnen die Worte von Mark-Rüdigers Mutter im Kopf herum, die irgendwann einmal gesagt hatte: »Das schöne Geld, der ‚Wiehenkrug’ hätte es doch auch getan!« War das versteckte Bewunderung im Sinne von »Ihr Schlawiner, ihr!«, oder war Mutti nicht doch seit der Hochzeit ein bisschen verschnupft? Auch eine andere Frage trieb Mark-Rüdiger noch lange um: War der Judo-Verein wirklich nicht sauer, weil er ihm keine Gelegenheit dazu gegeben hatte, ein Ständchen zum Besten zu geben? Gesine hatte das nicht so gern gewollt. Kurz, obwohl sogar sein schwieriger Vater die Hochzeit noch Jahre später als »gelungene Veranstaltung« lobte, wird Mark-Rüdiger zeitlebens daran zweifeln. Wer es allen recht machen will, wird spätestens nach einem solchen Projekt merken, dass das unmöglich ist und das Grübeln darüber kein Ende hat.
Das war bei – und vor allem nach – Zös Hochzeit anders. Ihr Fest adäquat zu beschreiben, würde den Umfang dieses Buches sprengen. Aber natürlich war es so, dass Zös Kreativität und Energie überall zu spüren waren. Ihre Absicht, diesen Tag zum allerschönsten Tag ihres Lebens zu machen, war allerorten zu sehen. Es fing mit einer »Kutschfahrt der Liebenden« an – nicht nur für das Hochzeitspaar, sondern für alle Gäste, die von der Kirche zur »Party Location« gelangen mussten. Neben jeder Kutsche lief eine grell geschminkte Ziege her, ein Sündenbock, auf dem man während der Fahrt seine schlechten Gedanken, die »schlimmste Sünde bei einer Hochzeit«, loswerden konnte. Der Weg führte zu einer leeren Fabrikhalle, in der Jean-Marie als Praktikant gearbeitet, während Zö dort eine Felduntersuchung im Rahmen irgendeines Studiums durchgeführt hatte. Nach Aussagen der beiden hatte das »geführte Tiefeninterview« hinter einer Druckerpresse stattgefunden. Nachdem die Fabrik Pleite gegangen war und leer stand, kamen die beiden auf die Idee, sie für ihre Hochzeit anzumieten und mit viel Aufwand und nach Feng-Shui-Prinzipien zu einem »Raum der Möglichkeiten« umzufunktionieren. Einiges an der Feier war wirklich toll, etwa die osteuropäische Kapelle, die wunderschöne Live-Musik machte, und das Essen, das Geschmäcker aus aller Herren Länder befriedigte. Allerdings waren die angeblich romantischen Papierwalzen als Sitzmöbel unbequem und die ständigen Gruppentänze und Scharaden, mit Hilfe deren wir uns als Gemeinschaft der Liebenden näher kommen sollten, ein eindeutiger Griff ins Klo, ganz zu schweigen vom Gestank der Sündenböcke, die die Halle nach und nach vollkackten. Was waren wir genervt! Kreativen Lösungen wohnt immer das Risiko des Unerprobten inne. Aber Zö bemerkte das nicht. Sie hatte den Eindruck, dass dies die schönste Hochzeit der Welt war (die lediglich von ihrer zweiten und dritten getoppt werden könnte), und glaubte tatsächlich, dass sie an diesem Tag kurzerhand das Universum aus den Angeln gehoben hatte. Selbst dann, wenn einige von uns sie später, meistens scherzhaft, an die Pannen dieses Tages erinnerten – Frau Flömer, die nach dem Genuss ihrer ersten Jalapeño, diese kleinen scharfen Paprikaschoten, in Timmermanns Kinderwagen spuckte, oder Herrn Diepenbrink, der nach einem Stück Haschtorte
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