Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
würde mir am Freitag allerdings die nun fast (!) fertige Arbeit (ca. 100 Seiten) schicken, die ich dann bis Montag durchlesen müsste, weil sonst sie, ihre Oma oder was-weiß-ich-wer arbeitslos oder Schlimmeres passieren würde. Irgendetwas Dramatisches muss man sich schon einfallen lassen, wenn man anderen durch mangelnde Organisation zusätzliche Arbeit aufbürdet. Gleichzeitig wollte sie ein Empfehlungsschreiben für Harvard. Am selben Freitag erhielt ich den Artikel eines meiner Koautoren, der seit über einem Jahr daran gearbeitet hatte, mit der Bitte, ihn bis Montag durchzusehen. Mit einer Durchsicht allein wäre es allerdings nicht getan, es blieben noch einige Abschnitte übrig, die ich, entgegen der Abmachung, schreiben müsste, weil ich in diesen Dingen der Experte sei. Schön, wenn Menschen an mich glauben! An demselben Freitag sagte mein wichtigster Musiker, der Kunstlieder für mich experimentell vertonen wollte und schon das dritte Mal die Deadline nicht eingehalten hatte, vollends ab – er käme leider nicht dazu. Zu dem Zeitpunkt war ich schon so gestresst, dass ich einfach keine Lust mehr hatte, mir seine Litanei an Rechtfertigungen durchzulesen. 39 Von dem Bühnenbild, das ebenfalls diese Woche fertig werden sollte, waren gleichfalls nicht viel mehr als gute Vorsätze geblieben. Die Entschuldigung des Bühnenbildners war kürzer als die des Musikers, aber ich habe sie vergessen. Ich war beinahe froh, dass ich nun kein Bühnenbild bezahlen musste, denn was hätte ich damit ohne Musik machen sollen? Solche Situationen sind für alle Beteiligten dysfunktional – ich kriege von so etwas Herpes.
Die interessante motivationspsychologische Frage aber ist: Warum kriegen Menschen manchmal nichts geregelt? Obwohl sie wissen, was zu tun ist und was eine Deadline ist. Und es allen total peinlich ist. Gehen wir einmal davon aus, dass die Deadlines für Musik und Bühnenbild realistisch von mir gesetzt waren, ich also nichts Unmögliches erwartet habe. Nehmen wir einmal an, dass meine Auftragnehmer mich ernstnehmen (was ich daran erkenne, wie viel Zeit sie in ihre Entschuldigungen investieren). Nehmen wir an, dass alle Beteiligten ihre Sache wirklich gut machen wollten. Dann müssten wir doch, vor allem, weil im Kapitel zuvor die Rede von gemeinsamen Codes von Denken und Handeln war, annehmen, dass die Leute sich hinsetzen und ihre Arbeit tun. Warum funktioniert das jedoch häufig nicht? Ein Problem ist, dass man häufig mehrere Alternativen zur Verfügung hat. Wenn man automatisch in der Bibliothek die Stimme senkt, reicht dafür vermutlich ein gemeinsamer Code im Sinne von »Bibliothek = Stillsein«. Wenn man allerdings entscheiden soll, ob man heute mit dem Bühnenbild anfängt oder doch lieber den Schrank aufräumt, dann verkompliziert sich die Angelegenheit. Vor allem wenn beide Ziele gleichwertig sind: Wohin soll der Autopilot sich ausrichten, wenn selbst der Pilot noch nicht einmal das Ziel kennt?
Ich will, ich will, ich will
Der Schritt vom Wollen zum Handeln ist schwierig. Wie viele Menschen träumen davon, als Sänger erfolgreich zu sein. Und werden es nicht. Wie viele Schüler versprechen ihren Eltern, mehr zu lernen – und tun es nicht. Wie vieles nehmen wir uns vor, und wie oft bleibt es bei unserem Vorhaben! Ich nehme mich da nicht aus. Von meinem ersten Tag in Amsterdam an wollte ich ein kleines Boot haben. Täglich ergötze ich mich an meinem privilegierten Ausblick auf die schöne Gracht, auf der, sobald die ersten Sonnenstrahlen die Möwen wecken, zwei Meter hohe schöne Niederländer mit weißen Zähnen ihre Jollen umherfahren, einen Modehund backbord und eine Käsebrote schmierende blonde Schönheit steuerbord. 40 »Ich will ein Boot!«, nerve ich seit vier Jahren meine Freunde. Dabei ist es geblieben.
Was braucht man, damit aus Träumen Realität wird? Die deutsche Willenspsychologie hat zu dieser Frage Entscheidendes beigetragen, wobei man, wegen der unglücklichen Assoziation mit dem Nazi-Film Triumph des Willens , das, was wir unter Willen verstehen, lieber als Volition bezeichnet. Ich sage jetzt aber weiter Willen dazu, weil es die Sache verständlicher macht. Ich, den Sie bitte im Weiteren Cäsar nennen.
Ich, Cäsar
Peter Gollwitzer hat den Weg vom Wunsch zum Ziel in vier wichtige Zeitabschnitte aufgeteilt. In seiner Theorie der Handlungsphasen 41 beginnt eine Aktion mit dem Stadium des Überlegens (prädezisionale Phase), in dem man das Für und Wider einer Handlung abwägt.
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