Unser Doktor
fertig.«
»Und dann ruft sie Sie?«
»Mädchen für alles«, grinste der Doktor, »sie ist voll Verzweiflung. Ihrem Mann wagt sie es nicht zu gestehen, also holt sie mich. Sehen Sie sich das Zeug mal an. Wir fahren nachher wieder vorbei, und Sie erklären ihr alles.«
»Herr im Himmel«, seufzte ich, »muß ich das tun?«
»Wenn wir ihr nicht helfen«, lachte der Doktor, »dann legt sie sich vor Schreck ins Bett, und ich muß doch hin.«
7
Ich las mir also die Prospekte durch. Ich hatte damit eine Menge zu tun, und die nächste Stunde verging im Fluge.
Ich war immer noch mit meinen Prospekten beschäftigt, als der Doktor aus einem Hause zurückkam.
Eine Frau von etwa vierzig Jahren begleitete ihn. Offenbar hatte der Doktor ihr einen Verband angelegt, denn ihr Kopf war verbunden.
»Er ist in der Wirtschaft«, sagte die Frau, »er ist bestimmt da.«
Sie trug ihren weißleuchtenden Verband offenbar mit tiefer Befriedigung. Alles an ihr drückte düsteren Triumph aus.
»Sagen Sie ihm, daß es gefährlich war. Beinahe hätte das Auge was abbekommen. Sagen Sie ihm das ruhig.«
Der Doktor sah die Frau etwas verdrossen an.
»Es ist nicht recht, daß er dich schlägt«, sagte er dann, »aber nun sollten wir alle Übertreibungen vermeiden.“
»Übertreibungen?« sagte die Frau schrill, »ich habe drei Minuten bewußtlos auf der Erde gelegen.«
»Hast du so genau auf die Uhr gesehen?« grinste der Doktor.
»Mindestens drei Minuten«, sagte die Frau, »Sie gehen doch jetzt hin? Sie sagen ihm das doch?«
Ihr Blick brannte auf dem Gesicht des Doktors.
Die Frau sah mich an.
»Sehen Sie, wie mein Mann mich zugerichtet hat?« fragte sie. »Ich bin meines Lebens nicht sicher. So sieht das aus.«
Sie nickte kräftig mit dem Kopf, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
»Gut«, murmelte der Doktor und sah mich seufzend an, »gehen wir also.«
Wir gingen auf die Gastwirtschaft zu.
In der Gastwirtschaft saß ein Mann trübselig an einem Tisch.
Er wirkte völlig verloren in dem sonst leeren Raum.
Er hatte einen Schnaps vor sich stehen, unberührt.
Ich war darauf gefaßt, einen Betrunkenen zu sehen. Aber der Mann war vollkommen nüchtern.
Er stand unbeholfen auf, als er den Doktor erkannte.
»Da sitzt er«, sagte die Frau wütend und fuhr auf ihn los.
Der Mann sah sie drohend an.
»Jetzt sieh dir an, was du gemacht hast«, sagte sie, »ich mußte den Doktor kommen lassen. Es ist noch gar nicht abzusehen, was du da angerichtet hast.«
Leise sagte der Doktor: »Du bist nicht betrunken?«
Der Mann hob die Schultern.
»Das ist es ja«, murmelte er und wies auf den Schnaps und sagte traurig: »Er schmeckt mir nicht.«
Die Frau lachte.
Der Doktor machte eine Handbewegung, bedeutete ihr, still zu sein.
»Du hast das Mittel genommen?« fragte er den Mann.
»Nein«, schrie er, »ich habe es nicht genommen.« Er sah seine Frau erbittert an. »Sie hat es mir gegeben.«
»Damit er das Saufen läßt«, schrie die Frau.
»Doktor«, sagte der Mann demütig, »ich weiß, daß ich trinke. Ich bin ja auch zu Ihnen gekommen. Ich habe gefragt:
>Doktor, gibt es was dagegen?« Ich will ja nicht zum Säufer werden. Ich weiß ja, daß es schlecht ist. Ich hab’ gefragt: >Doktor, können Sie mir helfen?<«
Der Mann heftete seinen Blick flehend auf den Doktor.
»Ja«, sagte der Doktor ruhig, »das hast du mich gefragt. Ich sagte dir: >Das einfachste ist, du bezwingst dich. Es liegt in deinem Willen.<«
»Und ich sagte gleich: >Doktor, den Willen habe ich nicht!< Und da gaben Sie mir ein Mittel.«
Er schluckte, sein Gesicht zuckte nervös. Er hob schwach die Hände, als wolle er um Verzeihung bitten. »Ich hab’s genommen, Doktor. Ich sagte mir: Versuch’s mal. Ich hab’s versucht und — ich konnte nicht mehr trinken. Es schmeckte einfach nicht.«
Seine Stimme sank ganz ins Demütige. »Es schmeckte scheußlich.«
Wieder lachte die Frau.
»Ich habe es nicht mehr genommen«, sagte der Mann leise. , »Aber«, nun hob er wieder die Stimme. »Ich muß ab und zu trinken. Ich brauche das.«
Er war völlig verzweifelt. »Doktor, das Zeug schmeckt zwar nicht mehr, aber ich habe immer noch den Wunsch, zu trinken. Ich will’s, ich möchte, ich muß!«
»Ich weiß«, sagte der Doktor leise.
»Das ist kein Leben«, sagte der Mann heftig, »ohne Alkohol. Ich ertrage das nicht.«
Wieder sagte der Doktor: »Ich weiß.«
»Ich wollte trinken, und es schmeckte wieder nicht. Sie hat mir das Mittel heimlich eingegeben, im
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