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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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starb vor zwei Jahren.« Auf meinen verwunderten Blick fügte er hinzu: »Niemand pflegt das Grab, denn der Baron hatte hier niemanden.«
    Er wurde nachdenklich: »Es ist mein eigenes Versäumnis. Ich rechne mir das zum Schlechten an. Ich werde morgen Auftrag geben, daß das Grab hergerichtet wird.«
    Er hob die Schultern: »Ich habe wenig Zeit, Sie wissen das, aber es entschuldigt mich nicht.«
    Wir fuhren eine Weile schweigend, ehe mir der Doktor erzählte: »Ich lernte den Baron kennen, als er eines Tages zu mir in die Praxis kam. Er war groß, schlank, ging etwas vornübergeneigt . Er hatte die hellsten blauen Augen, die ich je gesehen habe. Dazu fast weißblondes Haar. Er war gepflegt bis in die Fingerspitzen. Seine Kleidung war nicht zu modisch, aber sie hatte den besonderen Schick, der sich auch darin ausdrückt, wie man Kleidung zu tragen versteht. Er hatte darin eine gewisse Nonchalance, eine nicht erlernbare Selbstverständlichkeit, die alte Geschlechter auszeichnet. Er kam zu mir, nicht weil er krank war, sondern weil er — baden wollte.«
    Ich sah den Doktor verwundert an.
    »Ja«, sagte der Doktor, »er wollte baden. Er hatte gehört, daß wir einen Badebetrieb eröffnet hatten, für unsere Patienten natürlich. Er sah meine Frau und mich etwas schüchtern an und fragte, ob er hin und wieder eine unserer Badekabinen benutzen dürfte. Er wohne möbliert bei einem Bauern, und da gäbe es halt keine Badewannen. Wir sagten, er könne selbstverständlich kommen. Und so kam er jeden Sonnabend, nur um bei uns zu baden. Es bürgerte sich dann ein, daß er stets etwa eine halbe Stunde blieb, anschließend mit uns Kaffee trank, soweit wir überhaupt Zeit hatten. Er war das, was man einen ostelbischen Junker nannte. Er hatte einen riesigen Gutsbetrieb verloren, war mit Kriegsende über die Elbe gespült worden und in unserer Gegend hängengeblieben, arm wie eine Kirchenmaus. Er wurde Landmaschinenvertreter. Er war nicht düster, nicht von Tragik umwittert, er schlug kein Kapital aus seiner traurigen Geschichte, er fand sich eigentlich mit größter Selbstverständlichkeit in seine neue Rolle hinein. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir überhaupt von ihm erfuhren, wie groß sein Besitz, wie ungeheuer sein Vermögen gewesen war. Er war gebildet, weit gereist und zugleich von größter Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit. Er hätte in jeder Großstadt sicher große Chancen gehabt, aber er blieb auf dem Lande, weil er sich vom Lande nicht trennen konnte.
    Besonders meine Frau freute sich schließlich auf seine Besuche, weil er angenehm zu plaudern verstand. Er erzählte von seinen Reisen so anschaulich, daß meine Frau einmal sagte: >Sie ersetzen mir geradezu Reisen, die ich nie werde machen können.< Ich glaube«, fuhr der Doktor fort, »daß ihm die Besuche bei uns Wohltaten. Er hatte die Art von Manieren«, lächelte er, »die Frauen faszinieren. Er kam und ging jedesmal mit einem Handkuß für die Dame, er saß Frauen stets höflich zugewandt, unterbrach sie nie und hörte ihnen aufmerksam zu. Bis mich meine Frau eines Abends fragte: >Was hältst du eigentlich vom Baron?< Ich hatte die Frage schon lange erwartet. Ich sagte: >Er ist so nett zu Frauen, weil er sich nichts aus ihnen macht.<«
    Ich sah den Doktor verblüfft an.
    Er lachte: »Meine Frau sah ungefähr so verblüfft aus wie Sie jetzt. Sie sagte nur: >Ach...< Die Tatsache »abseitiger Neigungen«, wie man zu sagen pflegt, macht auf Frauen einen Eindruck, der etwas zwiespältig ist. Sie fühlen sich ein wenig beleidigt, andererseits erleichtert. Männer dieser Art«, erklärte der Doktor ganz sachlich, »haben immer ein ganz besonderes Verhältnis zu Frauen. Sie können großartig mit ihnen umgehen, das führt zu Freundschaften, die echt, herzlich und dauerhaft sind.« Der Doktor lachte. »Er verkaufte seine Landmaschinen immer an Bäuerinnen. Sie waren seinem Charme nicht gewachsen. Sie wußten nicht, was mit ihm los war, das wußte niemand, aber er hatte einfach eine glückliche Hand mit Frauen. Er verdiente nicht schlecht, er kaufte sich einen Volkswagen, und man rechnete ihn schon fast zur Gegend. Man nannte ihn überall den Baron, die Frauen mochten ihn und seine umwerfende Höflichkeit, und die Männer schätzten seinen Rat, denn er muß ein sehr guter Landwirt gewesen sein. Bauern kann man nur damit imponieren.«
    Der Doktor machte eine Pause, ehe er weitersprach: »Eines Tages mußte ich runter nach Mierisch -Land auf den Sielmannshof . Dort

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