Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
korrelierte die insuläre Aktivität bei der Beobachtung von Emotionen anderer mit den emotionaleren Subskalen des Empathie-Fragebogens, vor allem mit den Skalen »Persönliche Betroffenheit« (Personal Distress) und »Fantasie«. Teilnehmer, die mit der Aussage »Ich fühle mich manchmal hilflos, wenn ich mich in einer sehr emotionalen Situation befinde« übereinstimmten, aktivierten also ihre eigenen viszeralen Empfindungen in der Insel stärker als andere. Vor allem war die Korrelation zwischen der Skala »Perspektivenübernahme« einerseits sowie den Skalen »Persönliche Betroffenheit« und »Fantasie« andererseits gering, woraus folgt, dass Teilnehmer mit einer hohen Tendenz zur Perspektivenübernahme nicht notwendigerweise besonderen Anteil an der Betroffenheit anderer nehmen.
Aus dem Umstand, dass zwei Gehirnareale, die das Verstehen anderer auf verschiedenen Ebenen vermitteln, mit unterschiedlichen Subskalen korrelieren, folgt, dass wir uns Empathie oder das Verstehen anderer Menschen nicht als ein einziges Phänomen vorstellen dürfen. Prämotorische Areale spiegeln die Handlungen anderer Menschen und ermöglichen uns, die Ziele und Beweggründe anderer aus deren Perspektive wahrzunehmen. Die Insel dagegen spiegelt die viszeralen Zustände anderer Menschen und versetzt uns möglicherweise in die Lage, die Gefühle anderer Menschen mitzuempfinden. Im Leben interagieren diese beiden Komponenten häufig und tragen zu einem generellen, intuitiven Gefühl der inneren Verfassung der Menschen um uns her bei, einschließlich ihrer Ziele und Gefühle. Allerdings kann diese Fähigkeit in mehr oder weniger trennbare Teilaspekte zerfallen. Einige Menschen scheinen eine besondere Fähigkeit zum Spiegeln von Handlungen zu haben, andere zum Spiegeln von Emotionen, wieder andere für beides oder nichts von beidem. Wir sollten Empathie als ein Mosaik von Teilaspekten begreifen, die sich zu einem Gesamtbild dessen zusammenfügen, was in anderen Menschen vor sich geht.
Wie sich erweist, sind die Unterteilungen unserer Empathie noch kleinteiliger, weil die Unterschiede unserer persönlichen Erfahrungen die Unterschiede unserer Empathie prägen. Wer, wie ich, häufig unter Nebenhöhlenbeschwerden leidet, bringt ein hohes Maß an Empathie für Menschen mit Sinusschmerzen auf, jedoch weit weniger für Menschen mit Rückenschmerzen.
Der Unterschied zwischen einem echten und einem falschen Lächeln
Bislang haben wir gezeigt, dass die Insel beteiligt ist, wenn wir die viszeralen Emotionen anderer Menschen mitempfinden – etwa Ekel oder nahrungsbedingtes Vergnügen. Wenn unser Gehirn diese viszeralen Zustände aus den emotionalen Gesichtsausdrücken und Verhaltensweisen anderer Menschen erschließt, muss die Insel irgendwie Input aus Regionen erhalten, die dieses beobachtbare motorische Verhalten verarbeiten. Angesichts der Entdeckung der Spiegelneuronen könnte man vermuten, dass Areale, die der Steuerung von Gesichtsausdrücken dienen, an diesem Prozess beteiligt sind.
Wenn wir das Lächeln von Politikern sehen, spüren wir sofort, dass es falsch ist. Ihre Mundwinkel sind nach oben gezogen, aber die Region um ihre Augen bleibt entspannt. Bekanntlich ist es extrem schwierig, ein Lächeln vorzutäuschen. Schauspieler, die von Berufs wegen Gesichtsausdrücke simulieren, versuchen in der Regel nicht, ein Lächeln zu fälschen – sie bemühen sich nach Kräften, sich in fröhliche Stimmung zu versetzen, damit das Lächeln von allein kommt.
Warum lassen sich Gesichtsausdrücke so schwer auf Bestellung hervorrufen? Ganz einfach, die Hirnareale, die die Willkürbewegungen Ihres Gesichts steuern, unterscheiden sich von denen, die für die emotionale Erzeugung der Gesichtsausdrücke zuständig sind. 58 Der prämotorische und der primär motorische Kortex, von denen in den vorangegangenen Kapiteln die Rede war, gehören zur Willkürmotorik. Wenn Sie ein Lächeln vortäuschen, ohne das betreffende Gefühl zu empfinden, verwenden Sie diese beiden Kortexregionen. Ich möchte in diesem Fall vom »kalten« Gesichtsausdruckssystem sprechen, weil es nicht auf die Wärme der Emotionen angewiesen ist. Das kalte System kontrolliert auch das gesichtsmotorische Programm für Kauen, Ausschnauben, Artikulieren und die anderen zielgerichteten Verhaltensweisen, die wir mit Hilfe unseres Gesichts verrichten.
Parallel zu diesem System erzeugen Strukturen an der Mittellinie zwischen den beiden Hirnhälften – am Sulcus cinguli gelegen –
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