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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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autistische Kinder häufig unter geistiger Retardierung. Siebzig Prozent haben einen Intelligenzquotienten ( IQ ) von weniger als 70 und damit ein »niedriges Funktionsniveau« (low-functioning) . Die verbleibenden 30 Prozent haben IQ s, die von relativ normal bis sehr hoch reichen. Häufig brillieren sie in Disziplinen wie Mathematik, Physik und Ingenieurswissenschaft, die auf analytischem Denken beruhen. Diese 30 Prozent verwenden oft geistige Strategien, um viele Defizite ihrer Störungen zu kompensieren. Bei ihnen spricht man von »hohem Funktionsniveau« (high-functioning) . Autisten dieser Kategorie sind hochinteressant für die Erforschung sozialer Kognition, weil sich an ihnen zeigt, dass es sich beim Verständnis anderer Menschen um eine ganz andere Fertigkeit handelt als beim Verständnis der nicht-sozialen Welt.
    Autisten haben eingeschränkte Interessen
    Der erste Symptomkomplex, der bei Autismus auftritt, ist ein eingeschränktes, rigides und repetitives Verhalten. Patienten mit niedrigstem Funktionsniveau tun unter Umständen wenig mehr, als vor und zurück zu schaukeln und in die Hände zu klatschen. Bei höherem Niveau zeigen die Betroffenen eingeschränkte Interessen, etwa für Raumfahrt oder Mathematik – wie Christopher Boone. Andere sind von Kalendern und den Tagen des Jahres fasziniert. Mein Freund Marc Thioux, ein belgischer Psychologe, berichtete mir von Donny; er ist 21 Jahre alt, leidet an eigentlichem Autismus und hat einen IQ von rund 70. Wenn Sie Donny erzählen, dass Sie am 27. Juni 1973 geboren wurden, braucht er rund sieben Hundertstel Millisekunden, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie an einem Mittwoch geboren wurden (ich habe zehn Minuten gebraucht, um mit Hilfe von Google zu der gleichen Schlussfolgerung zu gelangen), wobei er in 97 Prozent der Fälle recht hat. 92 Bei Menschen wie Donny – mit einer besonderen Fähigkeit, die ihr allgemeines geistiges Niveau überragt –, sprechen wir nach dem französischen Wort für »gelehrt« von einem Savant- Syndrom oder einer Inselbegabung.
    Autisten vernachlässigen die soziale Welt
    Das zweite Merkmal von Autisten ist das Fehlen einer Fähigkeit, die wir alle als selbstverständlich hinnehmen: der sozialen Intuition. Wir sind vom frühesten Säuglingsalter an von den Gesichtern anderer Menschen fasziniert. Für Autisten sind die Gesichter anderer oft relativ uninteressant. Häufig gelingt es ihnen nicht, dieses Gefühl der Verbundenheit zu entwickeln, das für die soziale Welt der meisten von uns so typisch ist.
    Dass Autisten soziale Hinweisreize anders verwenden, zeigt eine elegante Studie von Ami Klin und seinen Kollegen am Yale Child Study Center. 93 Statt die soziale Kognition in einer sehr künstlichen, aseptischen Laborsituation zu untersuchen, entschlossen sie sich zur Verwendung eines komplexeren und naturalistischeren Reizes: Sie zeigten ihren Versuchsteilnehmern ein Sozialdrama – den klassischen Hollywoodfilm Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Für die meisten Menschen liefern die Augen anderer Personen die wertvollsten sozialen Anhaltspunkte. Häufig erkennen wir einen Lügner an seinem ausweichenden Blick, und ein Mann bemerkt, dass eine Frau in ihn verliebt ist, weil sie ihm etwas länger als üblich in die Augen blickt. Klin ging von der Annahme aus, dass Autisten diese Vorliebe für Augen nicht teilen. Die Hypothese bestätigte sich: Normal entwickelte Kinder fixierten die Augen der Schauspieler während fast 70 Prozent der Zeit, wobei ihr Blick zwischen den Augen und Gesichtern der verschiedenen Schauspieler hin- und herwanderte. Die autistischen Teilnehmer verbrachten nur 20 Prozent der Zeit damit, die Augen zu betrachten, und blickten erheblich länger auf die Münder der Schauspieler und verschiedene Objekte der Kulisse.
    Im Laufe der Jahre führt das fehlende Interesse des autistischen Kindes an Gesicht und Augen anderer dazu, dass sich weniger Gelegenheiten für Hebb’sches Lernen ergeben. Infolgedessen könnten sich die Verknüpfungen zwischen den eigenen Emotionen und Aufmerksamkeitszuständen einerseits und den Gesichtsausdrücken und Blickrichtungen der Kommunikationspartner andererseits nur verzögert entwickeln. Angesichts der enormen Wirkung, die schon eine Übung von fünf Stunden auf die Verknüpfung zwischen dem Klang der Musik und dem Klavierspiel ausübt 91 , können wir nur ahnen, wie nachhaltig sich ein lebenslanger, prinzipieller Unterschied beim Kontakt mit angemessenen sozialen Signalen auswirkt.
    Sind

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