Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte
noch in Argentinien.
Gudrun und Wolfgang bleiben nicht bei Ewald Frank in Krefeld. Zu viel erinnert sie dort an ihr Leben in der Kolonie. Ganz besonders die Einstellung zu Frauen. So beginnen sie, selbstständig und so unabhängig wie möglich zu leben. Das ist schwer. Rentenbeiträge wurden für sie nie eingezahlt. Wolfgangs Eltern hatten jahrzehntelang 300 DM pro Monat an die Kolonie überwiesen, Schäfer hatte es eingesackt. Das Erbe von Wolfgangs Eltern landete ebenfalls dort: 147 311,54 DM für den Verkauf eines Hauses.
»Zeig mal, ich hab so was noch nie gesehen«, sagte Kurt Schnellenkamp. Am 25. September 1995 begleitete er Wolfgang zur Entgegennahme des Schecks nach Santiago. Und sobald Wolfgang den Empfang bestätigt hatte, entriss Schnellenkamp ihm das Papier. Um es nie zurückzugeben.
Wolfgang und Gudrun sind mittellos. Der Ämter-Dschungel, der sich vor Hartz-IV-Empfängern auftut, bedeutet für die beiden eine besondere Hürde. Aber sie bewältigen die Herausforderungen dieser neuen Welt mit außerordentlicher Tapferkeit.
Die kleinen grünen Pillen und der Struppi
Sehr vorsichtig nehmen sie Kontakt auf zu anderen deutschen Überlebenden der Colonia Dignidad. Wem können sie trauen? Überlebende eines Wahnsystems aus Misstrauen, Bespitzelung, Lügen, Verrat und Folter können zunächst niemandem trauen. Selbst der eigenen Familie nicht.
Irgendwann melden sich Bernd und Waltraud Schaffrik auchbei Gudrun und Wolfgang Müller. Sie mailen und telefonieren. Dann folgen erste Besuche. Da sie nicht in derselben Stadt leben und die billigsten Reisemöglichkeiten nutzen müssen, bedeutet ein persönliches Gespräch von vier Stunden eine Tagesreise. Und hinterher mehrere Tage Erholung. Der Blick in die gemeinsame Vergangenheit kostet viel Kraft. Aber er bringt auch Trost und vor allem Erkenntnisse, die weiterführen.
So kann Waltraud berichten, dass die kleinen grünen Pillen, die Gudrun viele Jahre auf Verordnung von Hartmut Hopp erhielt, vermutlich Meleril heißen. Und dass Wolfgang wohl über Jahre hin jeden Monat ein Medikament namens Modecate gespritzt wurde. Modecate enthält den Wirkstoff Fluphenazin. Dieses Medikament wurde 1961 in Deutschland eingeführt. Hat Schäfer es damals mit nach Chile genommen?
Nun erfahren Wolfgang und Gudrun, dass beides Neuroleptika sind, die schizophrenen Patienten bei katatoner Schizophrenie oder bei akuten psychotischen Anfällen verschrieben werden. Der Grundstoff Fluphenazin wird in der Tiermedizin eingesetzt, um Tiere während des Transports ruhigzustellen. Streng verboten ist es, Pferden dieses Mittel bei Dressurwettbewerben zur Beruhigung zu spritzen, um sie »rittig« zu machen.
Einige der möglichen Nebenwirkungen sind:
Parkinson-Syndrom, Lethargie, Schwindelgefühle, Delir, Veränderungen im EEG , Mundtrockenheit, verstopfte Nase, Erhöhung des Augeninnendrucks, Obstipation, Miktionsstörungen, Diarrhoe, Hypertonie, Hypotonie, Tachykardie, Leberfunktionsstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, Menstruationsstörungen, Gewichtszunahme, Störung des Glukosestoffwechsels, Hirnödeme. Bei hospitalisierten psychotischen Patienten unerwartete, ungeklärte Todesfälle.
Als sie das endlich wissen, zeigen Gudrun und Wolfgang den verantwortlichen Arzt der Klinik der Colonia Dignidad und später der Villa Baviera wegen Mordversuchs und schwerer Körperverletzung an: Dr. Hartmut Hopp. Das hat sich bisher noch kein anderer Bewohner der Colonia Dignidad getraut.
Eine mutige Tat. Doch sie macht die beiden noch ein wenig einsamer. Ein Teil ihrer Familie bricht den Kontakt ab. Und Gudruns Schwägerin, die in der Kolonie zur selben ausgegrenzten Gruppe gehörte wie Waltraud, ist der Meinung, Hartmut habe sich sehr geändert, man könne ihm das nicht antun. Dann gibt sie Gudrun noch einen Spruch aus der Bibel mit: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« In Johannes 8,7 steht diese bekannte Mahnung Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer, als sie eine Frau steinigen wollten, die Ehebruch begangen hat. Schäfer hat die Kolonisten gelehrt, Bibelzitate als Waffe einzusetzen.
Zu der Ehebrecherin gewandt, soll Jesus hinzugefügt haben: »Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.«
Am 20. August 2011 schreibt Hartmut Hopp anlässlich eines Artikels von Redakteur Alexander Alber einen Leserbrief an die Westdeutsche Zeitung 84 :
Bezüglich Ihrer Veröffentlichung vom 19.8.2011 mit dem Titel: GEFLÜCHTETER SEKTEN-ARZT LEBT VON SOZIALHILFE erlaube ich
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