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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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Menschen kennen, interessante Menschen, wohlhabende Menschen, Direktoren, Betriebsleiter, Kaufleute. Neue Welten öffnen sich. Schäfer nimmt sie mit zu freikirchlichen Gemeinschaften, man betet gemeinsam. So begegnet sie auch der Familie Böckler in Zang bei Heidenheim. Die Kerngruppe aus Gartow ist wieder dabei: Brigitte Kram, Brigitte Baak und Gerhard Mücke, der den Kontakt zu Paul Schäfer per Gerichtsbeschluss gegen seine Eltern erzwungen hat. In Chile wird er Wolfgang Müllers Lehrherr sein.
    Die Schwestern werden eingeladen. Auch mal ins Theater. Begeistert nimmt Ida alle Chancen wahr, sich weiterzuentwickeln. Sie will einen Beruf, und sie weiß, dass sie sich ihren Aufstieg erkämpfen muss. Wo auch immer sie Arbeit bekommt, belegt sie nebenher Lehrgänge, lernt Schreibmaschine schreiben, macht Nähkurse, was sich eben im dürftigen Angebot jener Zeit für sie findet.
    Nicht lange nach ihrer Ankunft in Heidenheim will Schäfer die Schwestern mit der nächsten Stufe auf dem Weg zu seinem eigenen Reich vertraut machen. Doch diesmal verfängt der dürftig getarnte Versuch, ihnen mit Gottes Hilfe das Geld aus der Tasche zu ziehen, bei Ida nicht.
    »Um die Bibel wirklich zu leben«, sagt Schäfer, »müssen wir den Zehnten zahlen.«
    »Den Zehnten? An wen denn?«, wundert sich Ida.
    »An uns natürlich«, belehrt er das junge Mädchen.
    »Wer – uns? An uns drei?«, fragt sie verblüfft nach. Eine gute Vorlage für Schäfer, der mit der Bibel zurückschlägt: »Natürlich, Ida. Weißt du denn nicht, dass geschrieben steht: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen. Dann sind wir Gemeinde .«
    Ida lässt nicht locker: »Wieso sind wir Gemeinde? Was haben wir denn für einen Namen?«
    »Wir brauchen keinen Namen«, ist Schäfers dummdreiste Antwort, jeder bleibe in seiner Kirche, erläutert er, zahle aber den Zehnten an ihn. Eine ebenso verblüffende wie entlarvende Mitteilung. Sie macht deutlich, dass Schäfers vordringliches Interesse am Glauben materiell und nicht ideell ist.
    »Sekten und neue religiöse Bewegungen sind Vereinigungen von kleinen, freiwilligen, erwählten und exklusiven Gruppen«, schreibt Fleur Flückiger in einer der wenigen soziologischen Arbeiten zur Binnenstruktur religiöser Sekten 32 . »… Sie dulden keine doppelte Bindung, keinen Kompromiss mit ihren Prinzipien, keine Lossagung vom Führungsstandard, den sie billigen, und sie dulden auch keine Verletzung der Tabus, die sie aufstellen.« Führungsanspruch ist Schäfer wichtig, aber die doppelte Bindung scheint ihn in der Aufbauphase des Jahres 1953 nicht sonderlich zu stören. Hauptsache, Geld kommt rein.
    Idas Schwester Gertrud ist sofort bereit zu zahlen, sie will das Christentum so leben, wie Schäfer es verlangt. Aber da zieht Ida eine Grenze. Sie denkt an ihre Mutter und ist empört. »Hör mal zu, Gertrud, wir wollen den Zehnten zahlen, aber nur an unsere Mutter. Die lebt in bitterster Armut in Gartow. Wenn es christlich ist, den Zehnten zu zahlen, dann kriegt unsere Mutter das Geld und nicht Paul.«
    So machen sie es. Ihr Gehalt in Heidenheim beträgt 75 Mark im Monat. Zum Frühstück im Fürsorgeheim gibt es jeden Morgen eine Velveta-Käse-Ecke. Auf die verzichten die Schwestern, lassen sie sich am Monatsende aushändigen und schicken jeden Monat ein Päckchen mit den Käseecken und fünfzehn Mark an die Mutter. Schäfer sagen sie nichts.
    »Möchtet Ihr mit nach Zang zu den Böcklers fahren?«, fragt Schäfer an einem Spätnachmittag. Na klar, Ida ist gern unterwegs. Für jeden Ausflug sind die Schwestern dankbar. Sie schwingen sich auf ihre Räder, zehn Kilometer bergauf zu einem Nebenerwerbshof auf der Schwäbischen Alb, ein Vergnügen ist das. Nicht zum ersten Mal sind sie dort. Als sie ankommen, dämmert es, und das Ehepaar liegt schon im Bett.
    »Bleibt man liegen«, sagt Schäfer locker zu den Eheleuten, »macht keinen Aufstand, wir kommen zu euch ins Schlafzimmer.«Schon ist er drin und setzt sich auf die Bettkante zu Eugen, dem Familienvater. Gertrud und Ida werden auf Stühlen in eine Zimmerecke platziert, und Schäfer hebt an zu einer seiner großen Bet-Aktionen, die sich über Stunden hinziehen können. Alle beginnen gemeinsam: »Jesus Christus hat sein Blut für uns vergossen. Dein Blut, Herr Jesus, komme über uns und wasche uns rein.« Die Reinwaschung ist stets ein wesentlicher Teil der Gebete, denn schon in dieser frühen Phase ist es Schäfer gelungen, tiefe Schuldgefühle in

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