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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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über die Jahrmärkte zog. Schäfer begleitete ihn, lebte mit ihm. Danilo war schwul und verbarg es nicht. So zu leben war damals nicht leicht. Am Rande der bürgerlichen Gesellschaft noch eher als in ihrer Mitte. Der § 175 StGB, welcher sexuelle Handlungen zwischen Männern verbot, existierte in Deutschland von 1872 bis 1994. In der Nazizeit wurde er verschärft; homosexuelle Handlungen konnten mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft werden oder mit KZ . Die Bundesrepublik übernahm den § 175 aus der NS -Zeit, ab 1969 wurde er allmählich gelockert, erst 1994 ganz aufgehoben. 35
    Doch Paul Schäfer ist nicht homosexuell. Er ist pädosexuell, sein hauptsächliches sexuelles Interesse richtet sich auf männliche Kinder und Jugendliche. Außerdem hat er sadistische Neigungen. Um diese auszuleben, sucht er sich Schwächere, Unterlegene. Kinder eben. Schon früh ist klar, dass Schäfer sein Verhalten nicht ändern wollte – selbst wenn es damals Therapien gegeben hätte. Er mag, was er den Kindern antut, und sieht keinen Anlass, damit aufzuhören. Sein Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen er seine Neigungen ungehemmt ausleben kann.
    Über Sexualität wird nicht offen gesprochen. Es gibt kaum angemessene Aufklärung, Kinder schnappen dies und das von Spielgefährten auf. Was Pädophile und Päderasten sind, wissen wenige, man warnt Kinder vor »Mitschnackern«, damit hat es sich.
    Viele Frauen mögen Schäfer. Er kann charmant sein, eine rheinische Frohnatur. Mehrmals verlobt er sich sogar – aus taktischen Erwägungen. Frauen dafür finden sich leicht, einige bieten sich sogar an. Es herrscht Männermangel, viele Männer sind im Krieg gefallen. Einige Frauen machen Schäfer einen Heiratsantrag. Den Brief einer Kriegswitwe aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg liest Schäfer Ida und ihrer Schwester sogar vor. Sie halte es für richtig, schreibt diese, dass Schäfer sie heirate, da er doch mit ihrem Sohn so gut auskomme, so ein ganz besonders gutes Verhältnis zu dem Jungen habe. Der Vater ist »im Krieg geblieben«, und es wäre doch schön, wenn der Sohn wieder einen Vater bekäme.
    Man fragt sich, ob eine Mutter so naiv sein kann. Offenbar. Oder so verzweifelt.
    Ida und ihre Schwester befürworten das vorgelesene Angebot entschieden. Sie halten es für eine sehr gute Idee. Doch Schäfer schüttelt den Kopf. Er lehnt ab. Wie selbstlos er ist, denken die Schwestern, er lebt ausschließlich für seine Arbeit für Gott. Dafürverzichtet er auf vieles. Sie fragen sich nicht, warum er ihnen den Brief überhaupt vorgelesen hat.
    Schäfers Mutter, Anna Schmitz – geborene Schneider, geschiedene Schäfer –, lebt inzwischen in einer großen Wohnung in Siegburg bei Köln, in der auch Ida und Gertrud mehrere Male übernachten. Eine kleine Wohnung im Dachgeschoss gehört mit dazu. Dort zieht eines Tages dann doch noch die Witwe mit ihrem Sohn ein. Geheiratet wird nicht, aber der Sohn hat nun wieder Kontakt zu Schäfer, der sich so gut mit ihm versteht. Später wird der Junge im Paul-Gerhardt-Heim in München Gladbach untergebracht. Schäfers nächstem Arbeitsplatz.
    Die Mädchen in Schäfers Umgebung beobachten ihn, sie entwickeln Fantasien über sein Liebesleben. »Die mag er wohl«, sagt ein junges Mädchen etwas eifersüchtig zu Schäfers Mutter, als sie bemerkt, welchen Charme Paul Schäfer im Gespräch mit einer wohlhabenden Geschäftsfrau versprüht. Schäfers Mutter, die ihn oft begleitet, fährt das erstaunte Mädchen an: »Bist du blöd? Da ködert er wieder eine. Das ist kein normaler Mann, der braucht keine Frau.«
    Wieder so ein Satz, den Ida hört, speichert, den sie aber erst viel später versteht. Damals denkt sie, dass Paul eben ein heiliger Mann ist, den es nicht nach einer Frau verlangt. Das passt ins Bild: Schäfer wettert oft und heftig gegen körperliche Begierden, gegen Fleischeslust; leidenschaftlich spricht er von der Geißel des Fleisches, und entsprechende Bibelzitate hat er immer parat.
    Vermutlich redet er damit über seine eigene Störung. Seine Begierden jedenfalls bringen Schäfer alle ein bis zwei Jahre um seinen Arbeitsplatz. Die Opfer bringen sie um viel mehr. Obwohl er die abhängigen Kinder und Jugendlichen einschüchtert, erzählten einige trotzdem, was er ihnen angetan hat. Außerdem kann Schäfer sich nicht zurückhalten, er ist unvorsichtig, wird überrascht. Oder lässt er sich »erwischen«, gehört das »Erwischtwerden« dazu, ist es ein Teil seiner Inszenierungen?
Der

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