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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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wahre Christentum spricht, über die echten Botschaften Gottes, und wenn er erklärt, dass die wahren, tiefen Christen, solche, die mit Gott sprechen und göttliche Botschaften empfangen, solche wie er selbst eben, dass diese guten Christen immer verfolgt werden. Wie Jesus. Von Anfang an. Und für alle Zeit. Und dass sie sich nicht wundern sollen, wenn man eines Tages auch ihn angreifen wird. Sie sollen nurimmer treu und fest zu ihm stehen, schwört er sie ein. Nun, das wollen sie gewisslich tun. Sogar als er sagt, dass er selbst Jesus sei, schenken sie ihm Glauben und wundern sich nicht. Diese frühe Einstimmung durch Schäfer ist ein besonders geschickter und vorausschauender Schachzug.
    In den nächsten zwei Jahren findet Ida Ritz Arbeit in einem Haushalt. Zuerst im Pfarramt in Trebel, dann im besten Hotel auf der Insel Spiekeroog und schließlich als Hausgehilfin in Düsseldorf. Stets mit erstklassigen Zeugnissen. Ein junges Mädchen, welches das Leben und die deutschen Lande kennenlernen will. Wach, aufmerksam und lebenslustig.
    Im Sommer 1952 wird Gudrun zum zweiten Mal in die Schweiz zur Erholung geschickt. Zu denselben Gasteltern. Jetzt ist sie zwölf, sie ist höflich, dankbar und fügsam. Ganz anders als die anderen Kinder, die man hier sonst bekommt. Die Gastmutter möchte die kleine Österreicherin gern dortbehalten; am liebsten wäre es ihr, wenn Gudrun den Sohn der Familie heiratet. Was dem Gastvater am liebsten wäre, weiß Gudrun nicht. Mit zwölf Jahren kann sie sich schon besser wehren, wenn er ihre Hand in seine Hosentasche stecken will.
    Zur selben Zeit wird Wolfgang in die Schülermannschaft des Fußballvereins in Lutter am Barenberge aufgenommen. Seit er laufen kann, ist er dem Ball hinterhergerannt, mit dem seine älteren Cousins Fußball spielten. Nun endlich ist er auch Mitglied in dem Verein, zu dem sein Vater und sein Großvater gehören.
    Als Ida im Juni 1952 nach Gartow zurückkehrt, ist Paul Schäfer fort. Er wurde entlassen, doch das weiß sie nicht. Darüber spricht man nicht. Inzwischen ist er Erzieher in Heidenheim bei Stuttgart; ein Lehrer aus Gartow soll ihm die Stelle vermittelt haben. Dann kommt ein Brief von Schäfer, nicht direkt an Ida gerichtet, sondern an die Köchin im Heim in Gartow, wo auch Schäfer wohnte. Es würde ein Wohnheim gebaut werden, so schreibt er, für Lehrlinge;was die Köchin wohl meine, ob die Schwestern Gertrud und Ida dort vielleicht mithelfen wollen? Er fragt die Mädchen nicht direkt, er schreibt auch nicht an die Eltern – Ida ist achtzehn, erst in drei Jahren ist sie volljährig. Er weiß, wie schnell diese Nachricht reisen wird, und die Reaktion der Mädchen kann er sich denken. Inzwischen ist ihm wohl auch klar, dass ein paar Mädchen eine recht sinnvolle und praktische Ergänzung seiner Truppe sind: Tarnung und Lockmittel können sie sein und niedere Arbeiten verrichten.
    Ida ist sofort begeistert: Nach Süddeutschland reisen, ihr Radius wird größer, schon wieder lernt sie etwas Neues kennen. »Ist das nicht toll, Gertrud!«, jubelt sie. »Zwei Heime, so viele junge Leute, Gertrud, sollen wir das machen?« Die Schwester stimmt zu. »Jawohl, wir kommen nach Heidenheim!«, schreibt Ida an Paul Schäfer.
    Voller Vorfreude auf das pulsierende Leben mit all den jungen Leuten reisen Ida und Gertrud in derselben Woche nach Heidenheim an der Brenz, wo sie als Hausgehilfinnen im Lehrlingsheim des Gotthilf-Vöhringer-Hauses arbeiten werden. Ida: »Über hundert junge Menschen, und wir betreuten sie – irre aufregend.«
    Für Schäfer nebenan im Fürsorgeheim für schwer erziehbare Jungen war es das wohl auch. Schwer erziehbar, was bedeutet das? In vielen Fällen bedeutet es den Entzug der Menschenrechte. Es sind diese seelisch und oft auch körperlich verletzten Kinder und Jugendlichen, deren Nähe Schäfer zielsicher sucht. Der Mangel an Zuwendung ist groß, ihr Bedürfnis nach menschlicher Nähe, ihre Sehnsucht nach Wärme ebenfalls. Ihr Widerstand ist daher geringer. Schäfer weiß, wie er das ausnutzen kann.
    Nichts davon nimmt Ida zu diesem Zeitpunkt wahr. Und dennoch sieht sie es. Zwischen beiden Wahrnehmungen entstehen unerträgliche Spannungen. Es ist, als hätte sie mehrere Identitäten.
    An der Oberfläche erleben Ida und Gertrud eine herrliche Zeit mit viel Arbeit und viel Freude – verantwortungsvolle Arbeit im Heim und während der Freizeit Radtouren im Sommer und Schneeballschlachten im Winter. Durch Schäfer lernen dieSchwestern viele

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