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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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zutrifft und als Erklärung auch nicht ausreicht – wie ein Blick auf Scientology zeigt.
    Nach drei Tagen ist Paul Schäfer schließlich mit Hugo Baar »durch«. Familie Baar hat schon ein Telefon. So wird Rita Seelbach herbeordert, und der Vertragstext wird ihr sofort in die Schreibmaschine diktiert. Schäfer erhält den ersten Rang in der noch namenlosen Gemeinschaft. Baar wird Schäfers Stellvertreter, Hermann Schmidt aus Hamburg folgt als dritter in der Hierarchie. Dann wird Heinrich Schmidt in Allenbüttel angerufen, und der schwingt sich sofort in sein Tempo-Dreirad. Los geht es nun zur Familie Brodehl, die die erste Zeltfreizeit organisierte. Schäfer steigt vorne ein, und Ida hockt frierend und zornig auf der Ladefläche, auf die Schäfer sie verbannt hat an diesem eiskalten Januartag. Auch mit Friedrich Brodehl wird im verschlossenen Wohnzimmer gerungen, das auch das Schlafzimmer der Familie ist. Währenddessen wartet Ida in der Küche. Beiläufig, im Vorbeigehen, drückt Frau Brodehl ihr wortlos ein Papier in die Hand und geht nach draußen auf den Hof zum Vieh.
    Was soll ich damit, denkt Ida, einen Papierkorb entdeckt sie nicht, so wirft sie es in den Kanonenofen, sieht gerade noch, dass es ein Briefumschlag ist, der in den Flammen verlodert. Weil niemand im Raum ist und die Brodehls ein kleines Radio haben, drückt sie auf die Stationstaste, hört eine Weile Caterina Valente zu und träumt – wie ganz Paris – von der Liebe.
    »Wo ist der Umschlag für Paul?«, fragt Eugen Brodehl, als er nach langer Zeit mit Schäfer wieder in die Küche kommt.
    »Den Briefumschlag hat Ida schon«, sagt Frau Brodehl.
    Schäfer schaut zu Ida, welcher nun dämmert, dass sie nicht nur altes Papier vernichtet hat.
    Frau Brodehl wird blass: »Fünfzig Mark!« Es ist ein Aufschrei.
    Sofort winkt Schäfer ab, er spielt es herunter – was ist Geld? –, er scheint gelassen, denn Ida soll nicht verstehen, wie viel er schon abkassiert. Aber nun versteht sie doch, dass sie ahnungslos fünfzigMark vernichtet hat, die unauffällig den Weg in Schäfers Tasche finden sollten. Ein Vermögen ist das. Achtzig Mark im Monat verdient Idas Vater mit seiner Arbeit. Für eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in einer guten Gegend in Hamburg zahlt man 70 DM Monatsmiete, für eine Lederhose 6,90 DM , ein Pfund Käse kostet 1,95 DM und das Waschmittel »Wipp« 55 Pfennig.
    Wenn nur zehn Familien Schäfer monatlich so viel zahlen, hat er ein recht kommodes Auskommen. Aber es sind schon viel mehr.
    Im Juli 1955 findet eine Zeltfreizeit auf dem Hof der Familie Böckler in Zang statt. Schäfers namenlose Gemeinde umfasst nun etwa vierzig Personen. Dazu wird aus dem Bekanntenkreis der Familie auch jene wohlhabende Frau Werner aus Gerstetten eingeladen.
    Auf dieser Zeltfreizeit soll Ida die ganze Mannschaft bekochen. Sie freut sich; im Heim in München Gladbach hat sie schon für neunzig Personen gekocht, als sie kurzfristig die Köchin vertreten musste. Ida ist ehrgeizig, sie möchte abwechslungsreiche Mahlzeiten servieren. So fährt sie in das Gotthilf-Vöhringer-Haus in Heidenheim, in dem sie vor drei Jahren gearbeitet hat, um sich dessen Speiseplan zu holen. Eigentlich aber fährt sie dorthin, um Schäfers Ruf vor den ehemaligen Kollegen zurechtzurücken.
    »Direktor Beck hat ihn ja leider entlassen. Ohne Grund«, sagt sie, immer noch empört, vor der versammelten Küchenmannschaft. Und fügt triumphierend hinzu: »Jetzt ist Paul sogar stellvertretender Heimleiter in München Gladbach geworden.«
    Aufmerksam hört man ihr zu, fragt auch nach, wo genau dieses Heim denn liege.
    Zurück in München Gladbach geht sie stracks zu Schäfer und berichtet strahlend, wie sie seine Ehre verteidigt hat. Doch der wird blass, und zornig schimpft er: »Musst du denn allen alles erzählen?« Zur Strafe nimmt er ihr den Posten als Köchin weg, gibt ihn Frau Werner. Vor allen, die gerade in der Nähe sind, weist er Ida aus der Küche mit lang ausgestrecktem Arm und mit den Worten: »Du fastest erst mal!«, und wendet sich ab.
    Solche dramatischen Gesten hat Schäfer geübt. Ida konnte ihnmehr als einmal beobachten, wie er gestikulierend Ansprachen übte, in der Annahme, er sei allein. Trotzdem gelingt es ihm, auch sie mit den Gesten einzuschüchtern. Ida, die mit Lob gerechnet hatte, versteht weder seine heftige Reaktion noch die Bestrafung. Dass Schäfer Angst hat, auch diesen neuen Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sich Direktor Beck aus Heidenheim mit der Heimleitung

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