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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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machen.
    Zur Zwangsarbeit der Kinder, den körperlichen Schmerzen, der Brutalität und Unberechenbarkeit der Schläge kommt die Isolationsfolter. Im Alter von sieben bis neun Jahren erhalten die Mädchen vollständiges Sprechverbot und können sich nur durch Gesten und Zeichen verständigen. Und nur in aller Heimlichkeit. Nur der »Gruppentante« müssen sie antworten. Bis zu ihrem 23. Lebensjahr lebt Waltraud streng abgeschottet.
    Die strikte Trennung von den Jungen dauert noch bis zu Waltrauds 40. Lebensjahr. Bis dahin müssen sie sich abwenden, wenn Jungen oder Männer ihren Weg kreuzen. Zu anderen Gruppen dürfen sie keinen Kontakt haben. Niemand darf diese Mädchen ansprechen. Sie sind die Ausgestoßenen, die Unberührbaren. Ihre Gruppe wird »die Vögel« genannt. Eine Burka könnte nicht wirksamer sein. Sie sind wirklich die »Letzten der Letzten«. Gudrun Wagner muss – wie alle anderen – wegsehen, wenn diese Gruppe auftaucht.
    Die Mädchen werden von einer frommen und jähzornigen »Gruppentante« kontrolliert. Schlagen ist an der Tagesordnung. Die Gesichter der Kinder sind oft durch Schwellungen entstellt, die Lippen aufgeplatzt. Waltraud ist auf beiden Ohren schwerhörig, weil ihr das Trommelfell durch brutale Ohrfeigen mehrmals platzt. Ihr Körper gehört ihnen nicht. Bis zum vierzehnten Lebensjahr werden die Mädchen im Intimbereich von der Gruppentante gewaschen. Diese hat das Recht, sie auch mit der Faust zu boxen.
    Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind die Mädchen schwer depressiv. Mit zehn Jahren wandern sie am Grenzfluss Perquilauquén entlang. Als sie auf einem sehr hohen Felsen stehen, will Waltraud sich in den Fluss stürzen, weil ihr das Leben unerträglich ist. Sie tut es nicht, weil sie weiß, dass ihre Kameradinnen dadurch noch mehr leiden müssen.
    Waltraud wird geprügelt und erhält Stromstöße mit dem Viehtreiber. Sie wird ins Gesicht geschlagen, bis ihre Nase blutet und die Lippen aufplatzen. Mehrmals wird sie bewusstlos geschlagen. Durch hohe Medikamentengaben sind die Kinder ständig benommen. Abends bekommen sie besonders starke Schlafmittel. Wenn sie dann zur Toilette müssen, die außerhalb des Wohngebäudes liegt, sinken sie vor Müdigkeit auf den Steinboden und schlafen ein.
    Die nächtlichen Stromstöße in die Scheide, mit denen diese Mädchen gefoltert werden, haben einen ganz bestimmten Zweck. Schäfer will nicht nur den Teufel austreiben, dessen Sitz er dort vermutet. Er will vor allem verhindern, dass sie schwanger werden. Vermutlich werden auf diese Weise die Eileiter zerstört. So lässt er grausam und brutal ihre Fähigkeit vernichten, auf natürlichem Wege Kinder zu bekommen.
    In dieser Zeit wird eine geheime psychiatrische Klinik gebaut, in der die Kinder »behandelt« werden sollen. Warum und in wessen Auftrag, darum ranken sich Vermutungen und Gerüchte.
    35 Jahre später fällt dem Psychiater Niels Biedermann auf, dass viele Einwohner der Kolonie, unter ihnen vor allem Frauen, »als Kinder im Alter zwischen neun und zwölf Jahren Erinnerungslücken, amnestische Episoden, aufweisen. Hier liegt die Vermutung nahe, dass auch sie missbräuchlicher Elektrokrampfbehandlungen ausgesetzt wurden, wobei uns in diesen Fällen der Zweck nicht ganz klar ist«. 62
    Die Mädchen in Waltrauds Gruppe sind die Paria der Kolonie, die Ausgestoßenen, die Unberührbaren. Sie selbst empfinden sich als untaugliche Menschen, als Nicht-Menschen. Sie werden zwangssterilisiert, gequält, für Foltertraining und für pseudowissenschaftliche Experimente benutzt.
    Gudrun und Wolfgang sind liebe, freundliche, hilfsbereite und warmherzige Menschen. Sie geben gern, sie fordern nichts. Sie sind dankbar für Kleinigkeiten. Sie versuchen, so anständig und christlich zu bleiben, wie es in der Kolonie möglich ist.
    Beide erleben selbst immer wieder, dass ihnen vollkommen zu Unrecht Handlungen unterstellt werden, die sie nicht getan haben. Es gibt keine Möglichkeit, dies richtigzustellen. Ihre Menschenrechte werden beschnitten, ihre Menschlichkeit wird ihnen abgesprochen. Sie leben in einer Gesellschaft ohne Gerechtigkeit und ohne Trost. Dennoch nehmen auch diese beiden automatisch an, dass die Gruppe der »Vögel« irgendetwas sehr Schlimmes verbrochen haben muss . Die Bestätigung ihrer Annahme finden sie darin, dass diese Gruppe ausgegrenzt wird. Es genügt also, eine Untergruppe zu stigmatisieren, dann setzen die meisten von uns die Berechtigung dafür fast automatisch voraus: Die

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