Unser Leben mit George
Andenken
eine Bank auf Hampstead Heath zu stiften. Nach kurzer Suche fanden wir den
idealen Platz dafür, gegenüber von zwei kleinen, ausladenden Eichen, wo er oft
mit Joshua, Jessica und Nathaniel zum Klettern hingegangen war. Zwar fiel im
Winter der Blick zwischen den Ästen hindurch auf das Royal Free Hospital — nicht
nur eine Scheußlichkeit aus Beton der sechziger Jahre, sondern auch der Ort, wo
Udi seine Diagnose erfahren hatte und behandelt wurde — , doch es war ein
herrlicher Fleck auf einer weiten, sonnigen Wiese, die im Sommer ein Paradies
aus hohem Gras und Wildblumen war, in dem sich die Schmetterlinge tummelten.
Jedes Mal, wenn ich mit George dort
spazieren ging, blieb ich an Udis Bank stehen, wie sie in der Familie hieß. Und
bald rannte George schnurstracks darauf zu, sobald ich ihn von der Leine ließ,
sprang auf den Sitz und wartete auf mich. In liebendem Gedenken an den
einzigartigen JJdi Eichler stand auf der kleinen Plakette. Das mag für
Menschen, die Udi nicht gekannt hatten, albern geklungen haben, aber ich
wusste, er hätte es geschätzt. Schließlich war er ein einmaliger Mensch
gewesen. Und er hatte einen außergewöhnlichen Namen. Anders als John Smith oder
Jane Brown hatte es immer nur einen Udi Eichler gegeben — obwohl er
ursprünglich weder diesen Vor- noch den Nachnamen hatte. Obwohl er 1942 im
»angeschlossenen« Österreich geboren war, hatte seine anglophile Mutter ihm den
sehr britischen Namen »Gerald« gegeben. Eigentlich hatte sie ihn »Percy« nennen
wollen, was Freunde ihr jedoch ausgeredet hatten. Als er in England heimisch
geworden war, hatte sich der Teenager Gerri, wie er damals hieß, neu erfunden.
Bei seinem Freund hatte er damit angegeben, dass er von dem österreichischen
Grafen Udo von Hatzfeld abstammte. Ob er wirklich ein Nachkomme dieses Grafen
war, werden wir wohl nie erfahren, aber seitdem nannte ihn der Freund Udi, eine
Koseform des hebräischen Namens Ehud, was »vereint« bedeutet, und der Name
blieb an ihm haften. Was Eichler anbetraf, so war das der Name seines
dritten Stiefvaters gewesen, eines Mannes, an den Udi keine Erinnerungen hatte,
er wusste nur, dass er Tanzlehrer in Graz war.
Es schien unglaublich, dass seit Udis
Tod drei ganze Jahre vergangen waren. Manchmal schien es so lange her, dass es
mir vorkam, als sei es in einem anderen Leben gewesen. Und dann war es wieder,
als sei es erst kürzlich passiert, und die Erinnerung daran war so schmerzlich,
als sei er erst vor einigen Stunden gestorben. Es gab Tage, an denen ich mich
kaum an seine Stimme erinnern konnte, und obwohl ich bei ihm war, als er starb,
fiel es mir schwer zu akzeptieren, dass jemand, der einst so lebendig war,
jetzt tot sein sollte. Wenn mir auf der Straße ein Mann begegnete, der eine
ähnliche Brille oder einen ähnlichen Hut wie Udi trug, blieb ich stehen, für
den Bruchteil einer Sekunde davon überzeugt, es sei Udi. Und wenn ich vor dem
Haus ein Motorrad hörte, konnte ich ans Fenster laufen, weil ich irgendwie
erwartete, Udi in Lederhosen und Sturzhelm auf dem Gartenweg zu sehen, den
schwarz-silbernen Lurexschal, an dem er so hing, lässig um den Hals
geschlungen.
»Ich kann es einfach nicht glauben,
dass ich Dad nie wiedersehen werde«, sagte Joshua ein ums andere Mal, selbst
wenn er es immer schwerer fand, sich an seinen Vater zu erinnern, nachdem er
ihn drei Jahre nicht mehr gesehen hatte — ein Viertel seines eigenen Lebens.
Ich wusste genau, was er meinte. Ich wusste, mein Leben würde ohne Udi
weitergehen, ich würde vielleicht sogar wieder glücklich werden, aber trotzdem
vermisste ich ihn mehr denn je. Die ersten beiden Jahre nach seinem Tod hatten
ihre eigene Dynamik gehabt. Mir war die Rolle einer relativ jungen Witwe
aufgezwungen worden, und ich fühlte mich wie die Hauptfigur in einem
Theaterstück — nicht unbedingt eine Rolle, die ich hatte spielen wollen, wie
ich hinzufügen möchte. Jetzt war der Vorhang gefallen, und ich war nicht mehr
die Heldin, die das Mitgefühl der Zuschauer erregte, ich war selbst nur noch
Zuschauer. Das Drama um den Tod meines Mannes war zu Ende. Jetzt fing der Rest
meines Lebens an, wie das Leben von Teresa Cornelys damals im 18. Jahrhundert.
Ich musste aufhören, meiner geduldigen Schwester am Telefon die Ohren
vollzujammern, ich musste mich zusammenreißen und weitermachen.
Joshua war inzwischen fast zwölf Jahre
alt. Er wurde langsam flegelhaft und war überwiegend mit sich selbst
beschäftigt. Waren diese
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