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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
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Kindern. Er war etwa sechs Monate nach Udis Tod in
ein Haus gleich um die Ecke von uns gezogen, und obwohl andere Nachbarn ihn
gelegentlich erwähnt hatten, ebenso wie er von mir gehört hatte, waren wir uns
noch nie begegnet — was in London nichts Außergewöhnliches ist. Es stellte sich
auch heraus, dass unser Hintergrund sich auf bemerkenswerte Weise ähnelte: Wir
gehörten beide zur gutbürgerlich-jüdischen Bevölkerung des Londoner Nordends,
deren Familien eher weltlich als religiös waren. Wir waren nur wenige Straßen
voneinander entfernt im nahen Stadtteil Cricklewood aufgewachsen.
    Wir hatten eine weitere Gemeinsamkeit:
Wir waren beide alleinerziehende Eltern. Alex’ Kinder, zwei Söhne und zwei
Töchter im Alter zwischen acht und sechzehn Jahren, lebten die Hälfte der Zeit
bei ihrer Mutter, die nur zwei Meilen entfernt wohnte, die restliche Zeit waren
sie bei ihrem Vater und Rocket Ron, dem Lurcher, den er vor kurzem aus dem
Tierheim Battersea adoptiert hatte.
    Alex war mir auf Anhieb sympathisch. Er
war ein stattlicher, warmherziger Mann, der Herzlichkeit und Humor ausstrahlte,
und es war amüsant, sich mit ihm zu unterhalten. Ehe wir uns trennten, sagte
ich: »Hätten Sie nicht Lust, mal vorbeizukommen? Ich könnte uns etwas kochen.«
    »Okay«, sagte er, »wie wär’s später
diese Woche?«
    Ich nannte einen Tag, aber nicht ganz ohne
Bedenken. Ich machte mir mehr Sorgen darum, wie Joshua auf einen neuen fremden
Mann reagieren würde, als darum, wie Alex meine Familie gefallen würde — beides
völlig unnötig, wie sich herausstellte. Es dauerte nicht lange, da saß Joshua
neben Alex auf der Armlehne des Sofas, wo sie sich über Arsenal unterhielten,
beide waren Fans dieser Fußballmannschaft. George saß auf Alex’ Schoß.
    Alex als kinderfreundlich zu bezeichnen
wäre eine Untertreibung gewesen. Er war so fröhlich, großzügig und unbekümmert,
dass er selbst fast wie ein großes Kind wirkte. Aber er war auch ein sehr
väterlicher Mensch, bei dem Kinder sich geborgen fühlten. Er und Joshua waren
im Nu die besten Kumpels.
    Wir wurden Freunde. Wir telefonierten
viel miteinander und sprachen stundenlang über unsere Kinder und unser Leben.
Alex wünschte sich, dass unsere Beziehung über eine Freundschaft hinausginge,
aber ich war sehr zurückhaltend. Was wäre, wenn es wieder nicht funktionierte?
Wenn Joshua sich inzwischen noch enger an ihn anschloss, würde es einen großen
Verlust für ihn bedeuten.
    Eines Abends gingen Alex und ich ins
Kino und sahen Bridget Jones’ Diary. Es war so ein gutes Gefühl und
schien so natürlich, mit ihm zusammen zu sein, dass ich meine Bedenken sausen
ließ und wir ein Liebespaar wurden.
    Joshua hatte Alex richtig gern. Er
genoss die leichte, unkomplizierte Großzügigkeit, die Alex eigen war. In seinem
Cabrio machten wir Ausflüge nach Highbury, wo wir zu Mittag aßen und uns die
Spiele von Arsenal ansahen, oder wir speisten mit der ganzen Familie in
irgendeinem eleganten italienischen Restaurant oder aßen Hähnchen bei Nando’s.
Wir hatten einen unvergesslichen Tag beim Konzert des Princes Trust im Hyde
Park, zu dem er uns in einer weißen Stretchlimousine abholen ließ. Wir hatten
VIP-Plätze auf der Tribüne, nur eine Reihe unter Prinz Charles, der ein paar
witzige Bemerkungen machte und Joshua die Hand schüttelte. Das alles war
äußerst verführerisch für einen jungen Mann, der gerade zwölf geworden war und
keinen Vater hatte. Und was die Sache noch komplizierter machte, war, dass Alex
nicht nur Joshua und mich, sondern eigentlich alle, die ihn kennenlernten, an
Udi erinnerte. Und damit meine ich nicht nur seinen Fünftagebart. Denn wie Udi
war auch Alex eine ausgesprochene Persönlichkeit. Wie Udi sprach auch er mit
jedem auf dieselbe offene Art. Wie Udi hatte er keine Angst, über seine Gefühle
zu sprechen. Und wie Udi benahm er sich manchmal etwas exzentrisch und zog sich
gelegentlich auch so an. Zum Beispiel tauchte er an einem heißen Nachmittag an
meiner Tür auf, wobei er nichts weiter als eine Badehose trug. Meine Mutter,
die gerade vorbeigekommen war, öffnete die Tür. »Judith!«, rief sie mit
schockierter Stimme. »Hier ist jemand. Ich glaube, er möchte zu dir!«
    Wie Udi sagte auch Alex grundsätzlich
»Ja«, wenn seine Kinder ihn um etwas baten, solange es keinen wichtigen Grund
gab, »Nein« zu sagen. Und genau wie unter Charles II. den Spaniels einst die
königlichen Paläste zur Verfügung gestanden hatten, so stand auch Alex’

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