Unser Leben mit George
eingeladen.
Also hatten wir uns bisher ausschließlich in Bars, Cafés und Restaurants
getroffen — auf neutralem Boden, weit weg von den Komplikationen unseres
Alltagslebens. Wir schwebten in einer herrlich schillernden Seifenblase — eine
Seifenblase, in der es Kellner, delikates Essen und Wein gab und in der wir
glücklich waren und uns nicht vorstellen konnten, dass sie je platzen könne.
»Was erwartest du wirklich von einer
Beziehung?«, fragte er mich jetzt, als wir uns über unsere Pizza hinweg in die
Augen sahen.
Ich dachte einen Augenblick nach.
»Liebe und Gemeinsamkeit vermutlich. Jemand, mit dem ich mein Leben teilen
kann. Und du?«
»Liebe und Gemeinsamkeit. Jemand, mit
dem ich mein Leben teile. Und vermutlich wäre etwas Leidenschaft auch nicht
schlecht.«
Wir lächelten einander an und hielten
uns über den Tisch hinweg an den Händen. Unsere Finger waren ineinander
verschlungen, und in diesem Moment fühlten wir es instinktiv: Das, was hier
passierte, war ernst und auf lange Zeit angelegt. Wir waren glücklich, wenn wir
zusammen waren. Der Gesprächsstoff ging uns nie aus. Und wir lachten ständig.
Wir kamen uns vor wie zwei Hälften eines Ganzen, die sich gefunden hatten. Ich
konnte kaum fassen, was hier passierte. Ich hatte wirklich nicht erwartet, mich
nach Udis Tod noch einmal zu verlieben, aber nun war es geschehen.
Zach und ich waren so begeistert von diesem
Augenblick der Vollkommenheit, dass wir beide nicht hinterfragten, was die
Begriffe »Gemeinsamkeit« und »mit jemandem das Leben teilen« wirklich
bedeuteten. Das sollte uns später noch allzu klar werden.
Und noch etwas anderes gab es, das wir
aus unseren Gesprächen wohlweislich aussparten: Zach kannte Joshua noch nicht.
Und er hatte George noch nicht erlebt.
Joshua war vor kurzem dreizehn geworden
und schon lange kein zorniger Hamlet mehr. Er hatte jetzt seine eigenen
Interessen, vor allem Skateboard fahren, eine Leidenschaft, die ihn während der
Schulferien und an fast allen Wochenenden ins Zentrum von London führte. Am
Südufer der Themse übten er und seine Freunde ihre Sprünge und Kunststücke im
Vorhof eines großen Bürogebäudes in der Nähe von Waterloo Station, wo
einheimische Jugendbanden ihnen regelmäßig ihr Taschengeld und ihre Handys
abnahmen. Auf der anderen Seite des Flusses trieben sie sich in verlassenen
Tiefgaragen der City herum und brachten die Wächter gegen sich auf, wenn sie
mit ihren Skateboards die Betonrampen hinunterrasten.
Manchmal fielen die Skateboardfahrer
aber auch in unsere schmale, ruhige Straße in Hampstead ein. Mit
Höchstgeschwindigkeit bretterten sie die Straße entlang, sprangen genau vor
unserem Haus in die Luft, wobei sie blitzschnell ihre Skateboards herumdrehten
und dann mit einem Höllengetöse auf einer etwa drei Meter langen Metallkiste
landeten, die sie aus einem Abfallcontainer gerettet hatten und die jetzt
unseren Vorgarten zierte, eine Augenweide, für die nur noch das Unkraut dort
eine Konkurrenz darstellte. In meinen Bemühungen, eine möglichst
verständnisvolle Mutter zu sein, tolerierte ich diesen Schandfleck, genau wie
das nervenzerfetzende Getöse ihrer ›Nollys‹ und ›Grinds‹, wie die Kunststücke
in ihrer Fachsprache hießen. Aber oft riss mir auch die Geduld, und ich rannte
hinaus und verlangte lautstark, sie sollten sofort aufhören, sonst würde ich in
der Klapsmühle landen, ganz zu schweigen von unseren bewundernswert toleranten
Nachbarn.
Als Joshua und Zach sich schließlich an
einem Samstagnachmittag kennenlernten, legte Joshua eine Höflichkeit an den
Tag, die Anthony sprachlos gemacht hätte, worauf er mit seinem Skateboard
verschwand. Offenbar sah er es nicht mehr als bedrohlich an, wenn seine Mutter
einen Freund hatte. Stattdessen verließ Joshua sich darauf, dass meine
männlichen Begleiter lediglich am Rande meines Daseins existierten, während er
im Mittelpunkt stand. Freunde konnten durchaus Vorteile mit sich bringen wie
zum Beispiel Karten für Fußballspiele oder mehr Weihnachtsgeschenke für ihn;
schlimmstenfalls konnte es höchstens etwas peinlich sein, wenn die Mutter ein
Rendezvous hatte. Aber Joshua war sich jetzt ganz sicher, wer der wichtigste
Mann in meinem Leben war: nämlich er. Selbst George kam erst an zweiter Stelle.
Während des ersten Jahres unserer
Beziehung sah Joshua Zach nicht sehr oft. Mein neuer Partner wollte mich ganz
für sich allein haben, und da auch ich mit ihm allein sein wollte und Martina
noch bei uns
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