Unser Leben mit George
einen Hund
zu beeindrucken, keine Sorgen um ihr Aussehen zu machen. Ob sie superelegant
war oder sich in einem alten Morgenrock herumräkelte, es tat der Liebe ihres
Hundes zu ihr keinen Abbruch; vielleicht liebte er sie sogar noch mehr, wenn
ihr Gesicht ungewaschen war und ihr Atem ein bisschen nach Hund roch. Hunden
war es egal, ob die Unterhaltung witzig, dumm oder langweilig war, es war ihnen
auch egal, wenn man gar nichts sagte. Hunde stöhnten auch nicht, wenn man jeden
Tag dasselbe kochte. Statt abends zu quengeln, weil sie ins Kino gehen wollten,
saßen sie viel lieber neben Frauchen auf dem Sofa, wo man lesen oder fernsehen
konnte. Selbst hier hatten sie keine besonderen Wünsche, ob man nun eine
ernsthafte Dokumentarsendung über Umweltverschmutzung sah oder eine
Wiederholung von Sex in the City. Ihnen war nur eines wichtig, nämlich
dass man mit ihnen zusammen war.
Zum ersten Mal seit vier Jahren war ich
alle häusliche Verantwortung los und fasste einen Vorsatz. Solange Joshua weg
war, würde ich überhaupt nicht kochen, außer Georges Hühnchen. Und ich würde
jeden Abend ausgehen, selbst wenn ich allein etwas unternehmen müsste. Ehe
Joshua abgereist war, hatte ich meinen Taschenkalender gefüllt: mit Einladungen
zum Essen bei alten Bekannten, Besuchen in Kunstgalerien sowie Theater- und
Kinobesuchen.
Es gab nur noch einen Abend in meinem
Kalender, Mittwoch, den 7. August, an dem ich noch keine Pläne hatte. Also
verabredete ich mich auf einen Drink mit einem Professor für Kunstgeschichte,
mit dem ich ein paar Einzelheiten in meinem Manuskript abklären wollte.
Ich kannte Professor Zachary O’Neill
von der Londoner Universität noch nicht. Vor sechs Monaten jedoch, als ich in
den Archiven nach einem Porträt von Teresa Cornelys gesucht hatte, schlug ein
weitläufiger Bekannter vor, ich solle ihn fragen, wo ich möglicherweise danach
suchen könnte. Professor O’Neill, ein Amerikaner aus Boston, der seinen
New-England-Akzent mit tiefer, voller Stimme sprach, war am Telefon ein
angenehmer Gesprächspartner. Er schlug eine Reihe von Museen und privaten
Sammlungen vor, die mir weiterhelfen könnten. Wie sich später herausstellte,
konnte es keine von ihnen; es sah aus, als gäbe es kein Porträt von Teresa.
Am Ende unseres Gesprächs hatte
Professor O’Neill mir freundlicherweise angeboten, ich könne mich wieder an ihn
wenden, wenn ich Hilfe brauchte. Jetzt tat ich es, per E-Mail. Zwar hatte ich
bereits ein Geschichtsbuch geschrieben — über Soho — und britische Geschichte
studiert, als ich mich darauf vorbereitete, Fremdenführerin in London zu
werden, jedoch hatte ich keinen Universitätsabschluss in diesem Fach. Ich hatte
keinerlei Abschluss, denn das Kunststudium hatte ich ja auch abgebrochen.
Deshalb war ich jetzt äußerst besorgt, dass mir womöglich Fehler unterliefen,
wenn ich einen historischen Roman schrieb. Ich hoffte, der Professor könne mir
über einige Fragen der Kunst und Architektur zur Zeit Teresas Auskunft geben.
Wir verabredeten uns also per E-Mail
auf 19 Uhr in der Bar des St. George’s Hotel in der Regent Street. Später
schien mir der Name des Hotels ironisch, aber ich hatte es gewählt, weil es
nicht sehr bekannt war und man von der Bar im 15. Stock einen herrlichen Blick
auf London hatte, außerdem war es hier ruhig genug für eine Unterhaltung. Ich
hätte jedoch keinen schlimmeren Abend wählen können. Eine der schwersten
Gewitterfronten der letzten Jahre, deren Zentrum über Nordwest-London lag,
hatte sich an diesem Nachmittag über dem Südosten Englands ausgebreitet, und
seit 16 Uhr 30 war die unglaubliche Menge von sechzig Millimeter Regen
gefallen. Überall in der City gab es Überschwemmungen, und die Northern Line,
meine U-Bahn-Linie, stellte den Betrieb ein, genau wie eine Anzahl von
Bahnhöfen. Über Hampstead ging ein tropischer Monsunregen nieder, und etwa eine
Stunde lang dachte ich, ich würde nicht aus dem Haus kommen, auch wenn ich nur
ins Auto steigen wollte.
Als ich in der völlig leeren Hotelbar
saß und auf den Professor wartete, sah ich weder besonders gut aus noch fühlte
ich mich gut. Mein Haar war auf dem kurzen Stück Weg zwischen Haus und Auto
klitschnass geworden, die Wimperntusche lief mir übers Gesicht, und ich konnte
an nichts anderes denken als an meinen Sohn. Durch die Fenster aus Panzerglas
sah man nach Westen über die regennassen Dächer von Marylebone bis hin zu der
Gegend am Rande von London, wo Joshua zeltete. Die Wolken dort
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