Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
Vom Netzwerk:
unseren
Ask
-Tick.
    Ask
war eine Restaurantkette in London, die italienische Küche für nordeuropäischen Geschmack servierte: «Pfeffer? Parmesan? Perfetto!», lautete der Slogan. In das Restaurant der Kette in Totteridge & Whetstone mit seiner schönen, efeubehängten Terrasse hatte mich einst Steve gelockt, um mich mit Anneke zu überraschen. Nun wurde es unser Hauptquartier.
    Nach Totteridge waren es ein paar Meilen von Barnet, aber die Distanz gehörte zur Attraktion dazu. Graham besaß inzwischen ein Auto, und wir wollten mit dem Wagen fahren, wenn wir ausgingen. Wir wollten spüren, dass wir erwachsen wurden. Ich spielte in meinem zweiten, dritten Jahr bei Arsenal mittlerweile regelmäßig bei den Männern im Reserveteam, obwohl ich mit 18 offiziell noch als Jugendspieler galt.
    «Was machen wir heute Abend?», fragten mich Graham und Steven nahezu täglich gegen 17 Uhr.
    «Lass uns zu
Ask
gehen.»
    Wir fragten bei den anderen Arsenal-Jungs in der Gegend herum, ob sie mitkämen.
    «Ach, ich weiß nicht, ich bin müde», meinte Sebastian Svärd meistens, ein dänischer Junge, der dieses merkwürdige Fußballergehabe verinnerlicht hatte, dass es cool war, unterschwellig leicht schlecht gelaunt zu sein. Vielleicht ist es aber auch nur das normale Getue, wenn zu viele jugendliche Männer zu oft zusammen herumhängen.
    Meistens waren wir zu fünft oder sechst im
Ask
.
    Der Abend ging so richtig los, wenn ein Junge namens Teletext das erste Mal mit der Faust auf den Tisch klopfte und mit der ernsten Stimme eines Sportreporters verkündete: «Ihr hört es hier als Erste.» Dann offenbarte er uns vermeintliche Neuigkeiten aus der Welt des Fußballs, die meistens doch nur Gerüchte blieben. «Ihr hört es hier als Erste: Roy Keane wird nach seiner Spielerkarriere Trainer bei Manchester United» oder «Ihr hört es hier als Erste: Arsène Wenger hat letzten Sonntag auch hier im
Ask
gegessen».
    Teletext hieß mit richtigem Namen Stephen O’Donnell. Er merkte selbstverständlich, dass wir über seine Sucht nach Fußball-Klatsch und -Tratsch lächelten. Aber Teletext O’Donnell machte trotzdem immer weiter, er konnte es einfach nicht für sich behalten, wenn er nachmittags auf SkySports oder von einem Freund oder tatsächlich auf Teletext wieder irgendetwas aufgeschnappt hatte.
    Es waren die unbedarften Gespräche von Jungen, denen der Profifußball noch keine Grausamkeiten angetan hatte. Später würde es keiner von uns bei Arsenal schaffen. Keith Fahey, der kurz vor meiner Ankunft bei den Flints rausgeflogen war, weil er auf dem Dach herumgeklettert war, würde mit Birmingham City in der Premier League spielen. Sebastian Svärd wurde der klassische Wanderarbeiter des modernen Fußballs zwischen Orten wie Stoke, Mönchengladbach, Guimarães, Kerkrade und Rostock. Graham Half Ear Barrett zog durch Schottland und die zweite Liga, ehe er die Karriere wegen einer schweren Knieverletzung mit 28 beendete. Und Stephen Teletext O’Donnell ging, ohne einen einzigen Einsatz für Arsenal, zurück nach Irland, wo er in der nationalen halbprofessionellen Liga eine Nummer ist. Wo man das zuerst hörte, weiß ich allerdings nicht.
    Damals im
Ask
war für uns noch jedes Detail bei Arsenal aufregend und ein Grund, leidenschaftlich darüber zu debattieren. Der Trainer hatte heute im Behandlungszimmer mit Thierry Henry über Wayne Rooney geredet. Ray Parlour hatte Martin Keown den Ball durch die Beine gespielt. Im Jugendteam der 16-Jährigen hatte einer die Schuhe der Mitspieler versteckt.
    Ich wählte jedes Mal ein anderes Gericht im
Ask
. Nach drei Wochen hatte ich die gesamte Speisekarte durchprobiert, so oft kamen wir dorthin. Die irischen Jungs bestellten jedes Mal dasselbe. Minestrone zur Vorspeise und dann Spaghetti bolognese. Graham durfte kein Schokoladeneis essen, davon bekam er Migräne. Also orderten alle immer Vanilleeis zum Nachtisch.
     
    Nach einer Weile bekam das
Ask
Konkurrenz. Mädchen waren nun definitiv interessanter als Spaghetti bolognese. Die Jungs trafen sich öfters im
Eros
, einem Nachtklub in Enfield. Das Ziel war, früh dort zu sein – bis 22 Uhr 30 war der Eintritt frei. Doch die einschneidende Veränderung fand zu Hause bei den Flints statt. Graham zog aus. Er trug noch immer die Jungenfrisur mit dem aufwärtsgetrimmten Pony, aber er war entschlossen, ein Zeichen zu setzen, und hatte sich mit 20 eine eigene Wohnung gekauft. Wir wollten erwachsen sein.
    Graham war anderthalb Jahre älter als ich.

Weitere Kostenlose Bücher