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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Seine Entscheidung machte mich für kurze Zeit nachdenklich: Bald würde auch ich ausziehen müssen. Was sollte ich dann tun, allein in London wohnen? Dann vergaß ich die Gedanken wieder. Ich hatte andere Ideen, mir meine Reife zu beweisen.
    Ich ging in einen der klassischen Londoner Kramerläden, in denen es nach Koriander mit einem Hauch abgestandenem Schweiß riecht, und drückte mich vor dem Süßigkeitenregal herum. Ich nahm ein Kitkat, hielt es einen Moment lang in der Hand, als ob ich zweifeln würde, und ließ es dann abrupt in meiner Jackentasche verschwinden. Anschließend kaufte ich eine Rolle Kekse, um mein Verbrechen zu vertuschen.
    Wir sind in Deutschland – wie man an dem ordnungsgerecht über die Aschenbahn verlegten Steg erkennt. Graham und ich durften zum ersten Mal mit den Profis ins Trainingslager.
    Wenn ich mich heute als tatsächlich erwachsener Mensch daran zurückerinnere, fällt es mir schwer zu begreifen, was mich damals antrieb. Ich nehme an, ich wollte einfach einmal testen, ob ich das konnte. Klauen. Dass ich zur Tarnung eine Packung Kekse kaufte, die viel teurer als der geklaute Schokoladenriegel war, ist bezeichnend. Ich war bei dem Diebstahl eher von Angst als von Raffgier erfasst.
    Ich erzählte Steve von meinem Streich.
    «Bist du verrückt geworden? Das ist das Letzte, das kannst du nicht machen!»
    «Ja, ich weiß, Steve. Ich habe aber auch nicht vor, das jetzt zu meinem Beruf zu machen.»
    Der Diebstahl des Schokoriegels war eine jener Taten, die Jugendliche für eine Rebellion halten und die Erwachsene verspätete Pubertät nennen.

[zur Inhaltsübersicht]
Sechs Das große Haushalts- ABC
    Londons größtes Wahrzeichen steht auf einem blassen Holzstab in einem mickrigen Vorgarten in Barnet. Es hängt auch am Fenster in einem der viktorianischen Wohnblocks in Kensington und lehnt abgestürzt an einer Haustür in Southfields. Es gibt wohl keine einzige Londoner Straße, in der das «Zu kaufen»- oder «Verkauft»-Schild der Immobilienmakler nicht hervorsticht.
    Wohnungen kaufen und verkaufen ist in London die schönste Hauptsache der Welt. Als Gesprächsthema schlägt der Immobilienmarkt sogar das Wetter oder das Fuchsjagd-Verbot. Alle paar Tage steht in den Zeitungen: «Londoner Immobilienpreise steigen!» Alle paar Jahre steht in den Zeitungen: «Londoner Immobilienpreise fallen!»
    Ich war 19 und dachte: Was hatten Immobilien mit mir zu tun? Aber Steve Rowley war anderer Meinung.
    Wir waren mal wieder abendessen gegangen – manchmal wollte er sogar ins
Ask
in Totteridge, und ich tat, als sei das eine ganz originelle Idee –, und ich erzählte ihm von meinen vagen Gedanken, bei den Flints auszuziehen. Vielleicht könnte ich eine kleine Wohnung mieten.
    «Mieten?» Steve spuckte das Wort aus, als könne er es so wieder loswerden. «Das wäre das Dümmste, was du machen kannst! Oder du kannst natürlich auch gleich hier das Fenster aufmachen und das Geld hinauswerfen. Das käme auf dasselbe hinaus.»
    Natürlich müsse ich mir eine Wohnung kaufen.
    In Deutschland hätten die Vereinsverantwortlichen einem Jugendspieler vehement geraten, noch ein, zwei Jahre in der Gastfamilie zu bleiben. Allein in der Großstadt käme er nur auf blöde Gedanken. Und schon gar nicht sollte er sich eine Wohnung kaufen, er hatte doch gerade erst seinen Frischlingsvertrag unterschrieben, wer wusste, ob er in drei Jahren noch genug verdiente, um die Wohnung weiter abzubezahlen? Aber dies war London.
    In Deutschland wohnen fast 60 Prozent aller Haushalte zur Miete. In Großbritannien sind gut 70 Prozent Eigentümer.
    Der Wohnungskauf gilt in London als der goldene Weg zum Reichtum. Die ganze Zeit erzählen sich Londoner, um wie viel Prozent der Wert ihrer Wohnung in den jüngsten Jahren schon gestiegen sei. Allein das Wissen um diese Wertsteigerung von zehn, 20 oder 80 Prozent sorgt dafür, dass sie sich reich fühlen. Ich habe diese Hochrechnungen bis heute nie ganz nachvollziehen können. Denn ist es nicht ein rein virtueller Reichtum? Wenn sie ihre Wohnung mit 80 Prozent Gewinn verkaufen, müssen sie trotzdem noch irgendwo wohnen. Und um sie herum sind doch alle Wohnungspreise um 80 Prozent gestiegen, das heißt, sie geben ihren ganzen vermeintlichen Reichtum für eine mehr oder weniger gleich große Wohnung wieder aus. Aber so sei es natürlich nicht, redete sich Steve in Ekstase: Wenn ich meine um 80 Prozent im Wert gestiegene Wohnung fünf Jahre später verkaufe, hätte ich doch zur

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