Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
wollen, dass Armin mich findet und für immer von den Bildern heimgesucht wird. Deshalb der Wald. Meiner Theorie zufolge hätte mich jemand Fremdes gefunden, ein Jogger am Morgen, ein Spaziergänger am frühen Nachmittag. Meine Papiere hätten eine Identifizierung und den Anruf bei Armin schnell über die Bühne gebracht.
Die Buche. Mein mutiger Helfer bei dem Plan, den unerträglichen Schmerzen, vor allem aber den fast noch mächtigeren Schuldgefühlen ein Ende zu bereiten. Dem Plan, mein Leben eigenhändig zu beenden.
Ich erinnere mich an den Tag, als wäre es gestern gewesen. Meine fiebrigen Schritten, die den Waldweg entlang eilten, beinahe auf der Flucht vor mir selbst und jedem Skrupel, der in letzter Sekunde mein Vorhaben verhindern könnte. Und ich erinnere mich an mein Zögern, als ich den Platz erreicht hatte und langsam begann, die erforderlichen Utensilien aus dem Rucksack zu packen. Die kleine Trittleiter, die ich unter einem nahe gelegenen Geäst versteckt hatte, lag noch immer an ihrem Platz, bereit, ihrer Bestimmung zu folgen.
Alles war vorbereitet. Ich hatte keine Angst. Nur vor mir selbst und vor meiner eigenen Feigheit, die den Plan durchkreuzen könnte. Aber ich würde es nicht zulassen. Es war der einzige Weg, mich von den schrecklichen Gedanken zu befreien. Die Schmerzen im Nichts verklingen zu lassen. Fortzugehen. Für immer. Es war das Einzige, und das Mindeste , das ich tun konnte, nachdem ich Fionas Schmerzen auf so unverzeihliche Weise ignoriert hatte. Jetzt war es an der Zeit, diesen Fehler wieder gut zu machen.
Doch nicht jede Entscheidung treffen wir allein. So einsam ich mich in diesem Moment auch fühlte, es war der Bruchteil einer Sekunde, nur der Hauch eines Augenblick s, der mich daran erinnerte, dass ich nicht alleine war.
Nathalies erster Tritt im Mutterleib.
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"Wo warst du?" Sein Ton ist nicht vorwurfsvoll, sein Blick nicht misstrauisch. Trotzdem irritiert es mich, ihn um diese Zeit zu Hause anzutreffen.
"Nur ein bisschen unterwegs. Den Kopf freikriegen", sage ich. Ich öffne den Kühlschrank und hole ein Wasser heraus. "Was machst du schon hier?"
"Ich hab heute früher Schluss gemacht. Wollte dich überraschen."
"Mich überraschen?"
"Ja." Er steht vom Tisch auf und kommt näher. Eine Strähne, die er mir lächelnd hinters Ohr streicht. "Ich dachte, wir könnten vielleicht zusammen einen Kaffee trinken oder so. Haben wir ewig nicht gemacht."
Seine Anwesenheit verunsichert mich. Fast fühle ich mich ertappt. Mein Ausflug in unsere alte Gegend, der Spaziergang durch den Wald, erscheinen mir wie ein Geheimnis, das ich bewahren muss. Ich habe ihm nie von damals erzählt. Niemals hätte ich diese Entscheidung vor ihm verantworten können. Niemals ihm den Schmerz zumuten können, die allein die Vorstellung bei ihm verursacht hätte. Dies ist mein eigener Streifzug durch die Vergangenheit. Trotzdem fühle ich mich schlecht dabei, ihm meinen Ausflug zu verschweigen.
"Kaffee klingt gut", sage ich. "Aber ist das wirklich der einzige Grund, aus dem du hier bist?"
Armin kommt nie früher aus dem Büro. Überstunden werden gerne zur Regel, aber nie ein vorzeitiger Feierabend.
"Stört es dich, dass ich hier bin?"
"Stören ist das falsche Wort. Ich bin einfach nur überrascht. Das ist alles."
Er geht zum Küchenfenster und wendet mir den Rücken zu, während er in den Vorgarten hinausschaut. "Dass ich nur wegen eines Kaffees früher nach Hause gekommen bin, ist auch nicht die ganze Wahrheit."
"Nein?", frage ich.
"Nein."
Ich gehe zu ihm. "Was ist los, Armin?"
"Ich war bei diesem Theo."
Ich zucke zusammen. "Theo Mehler? Was heißt das, du warst bei ihm? Bei ihm zu Hause?"
"Ich habe ihn nicht getroffen, falls du das meinst. Zumindest diesmal nicht." Seine Stimme wird ernster.
"Aber wo? Wo warst du?" Ich werde nervös.
"Es hat mich einfach nicht in Ruhe gelassen, dass Nathalie bei ihm war und vor allem, dass dieser Mann die Frechheit besessen hat, mit ihr zu reden. Da hab ich halt, genau wie Nathalie, im Internet geforscht."
"Im Internet geforscht?"
"Er hat einen kleinen Landschaftsbetrieb in Erftstadt. Ich war vorhin dort."
"Du bist einfach hingefahren? Aber was soll das, Armin? Ich dachte, wir waren uns einig, nicht länger darauf herumzureiten. Nathalie hat versprochen, ihn nicht wieder aufzusuchen. Warum wühlst du die Sache jetzt noch zusätzlich auf?"
Der Gedanke an ein Treffen zwischen Theo und Armin raubt mir beinahe den Atem.
"Nathalie
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