Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
Website. Als ob das echt im Blut liegt. Frage mich nur, von wem wir das haben."
"Vielleicht von deiner Mutter. Als Floristin muss man doch auch kreativ sein, oder?"
Nathalie zuckt mit den Schultern. "Vielleicht."
Sie schaut auf die Uhr. Noch drei Minuten bis zum Pausenklingeln.
"Tatsache ist nur, dass ich das wissen muss", fährt sie fort. "Für mich. Für mich ganz allein, verstehst du?"
Jenny nickt.
"Und damit meine ich: alles wissen. Jede Kleinigkeit. Es gibt z.B. nur ein einziges Bild, das ich von ihr kenne. Und zwar das Bild, das im Wohnzimmer steht. Da war sie vielleicht Dreizehn. Ansonsten haben Mama und Papa alles versteckt oder verbrannt oder was weiß ich. Auf dem Dachboden hab ich jedenfalls nichts gefunden und im Schlafzimmer nachzuschauen, hab ich mich noch nicht getraut. Wenn sie mich da beim Schnüffeln erwischen, gibt’s bloß wieder Stress. Und darauf hab ich im Moment echt keinen Bock."
"Aber wozu denn schnüffeln, wenn deine Mutter dir jetzt scheinbar doch mehr sagen will als bisher? Frag sie doch einfach nach Bildern. Vielleicht ist das ja vollkommen okay für sie."
Nathalie denkt an das letzte Gespräch mit ihrer Mutter. Ja, sie schien offen und ebenso dankbar, endlich einmal Dinge loszuwerden, die sie bisher verschwiegen hat. Aber schließt diese Offenheit auch Antworten auf Fragen ein, die das Ereignis betreffen? Wird ihre Mutter darüber reden können oder wäre es zu schmerzhaft? Wie weit würde sie gehen, um die Wahrheit zu verwischen? Schweigen? Vielleicht sogar lügen, um die Tragweite der Tragödie abzuschwächen? Nathalie zuliebe? Und in gewisser Weise auch Fiona zuliebe?
Das Pausenklingeln unterbricht ihre Gedanken.
"Lass uns reingehen", sagt Jenny. "Hab für die Matheklausur wie ne Bekloppte gebüffelt. Das darf ich jetzt nicht vermasseln."
Kapitel 9 : Die Rückkehr
3. September 1994
Liebes Tagebuch,
komme grad von dem Treffen mit Theo und verkünde hiermit hoch offiziell: Diese Typen werde ich heiraten!!! Egal wie und egal wann. Wir sind einfach wie füreinander gemacht. Füreinander bestimmt. Er versteht mich. Er ist eine ebenso kreative Seele, ein Träumer auf der Reise, ohne wirklich zu reisen. Er redet nicht viel, aber ich weiß es. Er ist etwas ganz Besonderes!
Wir haben uns vorhin vor dem alten Kino getroffen. Erst dachte ich, wir gehen noch zusammen was trinken, aber er fragte, ob ich Lust hätte, mal das Gartenhaus seiner Eltern zu besuchen. Von den anderen Jungs aus der Band weiß ich, dass sie dort öfter zusammen abhängen. Neugierig war ich schon die ganze Zeit über, weil ich noch nie dort war. Und dieses Mal waren wir sogar allein. Keine Jungs. Kein doofes Kerlgelaber. Nur Theo und ich.
Wir haben ein bisschen gequatscht, aber ich war echt supernervös und habe glaube ich die unsinnigsten Dinge gesagt, die man nur sagen kann. Habe sogar von den Atemübungen im Gesangsunterricht gesprochen, nur damit es nicht still ist zwischen uns beiden. Aber dann wurde es still und… na ja, dann hat er mich halt geküsst. Viel länger als die letzten Male und es war auch viel intensiver. Ich kann echt nicht in Worte fassen, was mir das bedeutet. Irgendwann hab ich dann auf die Uhr geschaut. Ich war schon fast ne halbe Stunde zu spät dran. Bin dann auch schnell los, bevor es Ärger zu Hause gibt. Ich hab richtig gemerkt, wie enttäuscht er deswegen war.
Mama und Papa haben nur kurz komisch geguckt. Ich hab gesagt, dass die Proben länger gedauert haben. Dass heute gar keine Proben waren, wissen sie ja nicht. Mama fragte dann nur, ob ich die Schularbeiten fertig habe. Ich hab dann Ja gesagt. Was sie dann gesagt hat, hab ich gar nicht mehr richtig mitbekommen. Ist ja eh immer nur dieselbe Leier. Ich habe im Moment viel Wichtigeres im Kopf: Theo!!! Und: UNSERE BAND! Blöd ist nur, dass ich in der Mathearbeit heute ne Fünf bekommen habe. Das hab ich Papa und Mama noch nicht gebeichtet. Ich hab im Moment echt keinen Nerv fürs Lernen, erst recht nicht, wenn es um Zahlen geht. Wer braucht so einen Scheiß? Um Rockstar zu werden ganz sicher nicht. Ich glaube, ich fälsche die Unterschrift, sonst fangen sie noch wieder an rum zu zicken… von wegen zu viele Proben, nicht genug Zeit fürs Lernen usw.
Aber was grad viel wichtiger ist: Wann sehe ich Theo wieder? Alleine! Übermorgen sind wieder Proben, aber ob wir da auch nen Moment für uns haben? Lange halte ich es ohne ihn jedenfalls nicht aus.
Fiona
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