Unser Sommer in Georgia
Steges.
Das Licht des Spätnachmittags schimmerte auf den Wänden von Rileys Schlafzimmer. Durch das offene Fenster wehte ein leichter Wind herein und bauschte die Gardinen, die tanzende Schatten auf die Bodendielen warfen. Riley wurde von einem durch Trauer und Schuldgefühle ausgelösten Fieber geschüttelt. Sie wickelte sich eine Decke um die Beine und krümmte sich auf ihrem Bett zusammen.
Bilder ohne Worte gingen ihr durch den Kopf: Sheldon, wie er vor einem Strandfeuer lachte; Sheldon über ihr, der ihr sagte, wie schön sie sei und dass er sich schon lange nach ihr gesehnt habe, seit damals, als er beobachtet hatte, wie sie Lilly-Mae geboxt hatte, weil das Mädchen einen kleinen Jungen geärgert hatte; Braydens Gesicht, sein Blick, als Sheldons Asche durch die Luft flog und im Meer vor Palmetto Beach versank.
Am liebsten hätte sie allen und dann auch wieder niemandem erzählt, dass sie soeben Braydens Vater die letzte Ehre erwiesen hatten. Am liebsten hätte sie geweint, doch gleichzeitig sehnte sie sich danach, gar nichts mehr zu fühlen.
Sie überhörte das leise Pochen an der Tür. Schließlich kam Maisy ohne Erlaubnis herein.
»Riley? Ist alles in Ordnung?«, fragte sie sanft.
Sie machten vor dem Bett Halt, doch Riley öffnete die Augen nicht. Maisy legte ihr die Hand auf die Stirn. »Du bist krank«, erklärte sie, und Riley nickte stumm. »Du hast zu hart gearbeitet.« Die Matratze bog sich unter Maisys Gewicht ein wenig durch. Riley krümmte sich noch mehr zusammen.
»Maisy, hast du gewusst, dass Sheldon Rutledge im letzten Monat im Irak ums Leben gekommen ist? Bei einem Flugzeugabsturz.«
»Mein Gott, nein! Das ist ja schrecklich. Geht es dir deshalb so schlecht?«
Riley setzte sich auf. Sie würde ihr Geheimnis nicht preisgeben. »Nein. Hör mal, wenn der Kochbuch-Club fertig ist, mache ich Brayden was zum Abendbrot. Sie kommen jetzt gleich.« Sie musste die Kraft finden, aufzustehen, ihren Sohn zu versorgen, sich um den Buchladen zu kümmern - Kraft für ihre zahlreichen alltäglichen Pflichten. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Selbstmitleid, Reue und egoistische Tränen. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und würde sich daran halten. Sie hatte beschlossen, für sich zu behalten, wer Braydens Vater war, und ein Versprechen sich selbst gegenüber würde sie genauso halten, als hätte sie es jemand anders gegeben. Schließlich brach man ein Versprechen nicht einfach, weil es sich nicht mehr gut anfühlte.
Denk doch mal nach!, schrie ihr Verstand. Dieser Nachmittag, dieser Tod, sollte dir als Mahnung dienen, den Kopf oben zu behalten und weiterzumachen. Die romantischen Vorstellungen in Bezug auf Mack Logan sind nichts als dumme Zeitverschwendung.
Riley kam sich blöd vor, weil sie sich überhaupt erlaubt hatte, die prickelnde Wärme des Verlangens wieder zu spüren.
Ein Windhauch ging durch den Raum. Riley zwang sich zu einem Lächeln. »Doch, mir geht's gut, Maisy. Geh nur, und viel Spaß heute Abend! Ich sehe dann nachher nach dem Kochbuch-Club. Geh du jetzt gleich nach unten ...«
»Du klingst gar nicht gut, Riley. Ich glaube, du brauchst Schlaf. Übernachte doch heute bei Mama! Adalee und ich kümmern uns hier um alles. Brayden hat mir versprochen, mit mir Monopoly zu spielen - aber jedes Mal, wenn ich etwas mit ihm ausmachen will, saust er runter zum Steg. Ich nehme ihn dir gerne ab.«
Plötzlich sehnte Riley sich nach einer Schwester, der sie sich anvertrauen konnte, die ihre Schuldgefühle und ihren Kummer verstehen und sie trösten würde. Nach der Schwester, die Maisy damals gewesen war.
Riley stieg aus dem Bett. Aufrecht und bestimmt stellte sie sich vor ihre Schwester. »Das ist lieb von dir, Maisy. Ja, übernimm du den Kochbuch-Club, aber ich nehm Brayden mit zu Mama. Er spielt gerne mit dem Nachbarsjungen.«
Doch, es war eine gute Idee, die Nacht bei ihrer Mutter zu verbringen. Morgen würde sie dann ganz früh zurückkommen. Riley packte eine Tasche für die Übernachtung, sammelte ihren Sohn ein und fuhr zu ihrer Mutter.
In der Nacht nach dem großen Strandfeuer hatte sie versucht, Maisy von Sheldon zu erzählen. Später hätte sie ihrer Schwester gern erklärt, dass die Ereignisse jener Nacht nicht nur ihre geschwisterliche Beziehung zerstört, sondern in Gestalt von Brayden auch ein neues Leben geschaffen hatten.
Vor jenem letzten Sommer war Maisy die Schwester gewesen, der Riley die Geschichte mit Sheldon gestanden hätte. Damals hätten sie sich unter
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