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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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mich als Bairstow in einem plüschigen Hotel für Handelsvertreter eintrug. Ich versuchte zu schlafen, aber das Entsetzen pochte wie ein zweites Herz in mir, und es war ein Entsetzen, wie es schlimmer nicht sein konnte, das Entsetzen eines schuldbesessenen, zur Tatenlosigkeit verurteilten Augenzeugen einer Katastrophe, die auf Menschen zurast, denen er nicht zurufen kann, und diese Menschen waren meine Geschöpfe. Denn ich hatte Larry zu einem Leben im Verborgenen bestimmt, ihm alle Tricks und Kniffe beigebracht und den Mechanismus in Gang gesetzt, der jetzt so verhängnisvoll Amok lief. Ich hatte Emma eine Fessel angelegt und, als ich sie zur perfekten Gefährtin ernannte, nicht geahnt, daß sie sich als perfekte Gefährtin für Larry erweisen würde.
    In meinem trostlosen Hotelzimmer schaltete ich sämtliche Lichter an, machte mir mit Teebeutel und Milchpulver einen abscheulichen Tee und sah dann noch einmal die Stapel von Papieren durch, die ich beim Rückzug aus meinem Versteck in die Aktentasche gestopft hatte. Ich schrieb meiner Bank einen langen Brief und instruierte sie unter anderem über Vorkehrungen für Mrs. Benbow, Ted Lanxon und die Toller-Mädchen. Ich klebte den Umschlag zu, schrieb die Adresse drauf und warf ihn in einen Briefkasten im Stadtzentrum. Nachdem ich von einer Telefonzelle aus einige Gespräche geführt hatte, verbrachte ich den Nachmittag in einem Kino, kann mich aber an den Film nicht mehr erinnern. Mit der Abendflut um fünf verließ ich Reading in einem auf den Namen Bairstow gemieteten roten Ford. Jedes goldene, mit einer braunen Hecke umgebene Feld erschien mir wie ein Bruchstück meiner zerschlagenen Welt.
    »Die Klänge und Gerüche der Jugend kommen zu einem zurück«, hatte Larry an Emma geschrieben. »Und der Himmel, in den man als Kind geschaut hat. Man hat wieder Verständnis für Ideen. Geld hat keine Macht.«
    Ich wünschte, ich hätte seine Schwärmerei teilen können.

11
    »Nein, wunderbar , Tim!« hatte Clare Dugdale in spät-thatcherischer Affektiertheit ausgerufen, als ich ihr von einer Telefonzelle aus mitteilte, daß ich zufällig in der Gegend sei. »Simon wird aus dem Häuschen sein. Er hat seit Wochen nicht mehr von Mann zu Mann reden können. Komm möglichst früh , dann trinken wir was, und du kannst mir helfen, die Kinder ins Bett zu bringen, wie in alten Zeiten . Petronella wirst du nicht wiedererkennen . Unglaubliches Mädchen. Magst du Fisch? Simon hat’s neuerdings am Herzen . Kommst du allein , Tim, oder bringst du jemand mit? «
    Ich überquerte eine Brücke und sah unter mir unser weißes Hotel, das die Rezession jetzt grau gefärbt hatte. Die Wiesen am Ufer waren zugewuchert. Quer über die Eingangstür der Bar, wo ich auf sie gewartet hatte, war mit Kreide »Disco« geschmiert. Flippergeräte blinkten in dem einst vornehmen Speisesaal, wo wir Steak flambé gegessen hatten und sie mir einen bestrumpften Fuß zwischen die Beinen gesteckt hatte, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen – was wir so unauffällig früh wie möglich taten, denn um vier Uhr morgens hockte sie schon vor dem Spiegel und brachte ihr Make-up in Ordnung, um nach Hause zu gehen.
    »Die Kinder sollen mich nicht vermissen, Darling«, sagt sie. »Und Simon, der Ärmste, könnte durchaus auf die Idee kommen, mich mit einem Anruf aus Washington zu wecken. Auf kurzen Reisen kann er einfach nicht schlafen.«
    »Hat er einen Verdacht?« frage ich, nicht so sehr, wie mir jetzt schien, aus einem Schuldgefühl heraus, sondern eher aus menschlicher Neugier.
    Pause, während sie mit dem Lippenstift die letzte Linie zieht. »Glaub ich nicht. Simon ist Berkeleyaner. Was er nicht sieht, existiert für ihn nicht.« Clare hatte in Cambridge Philosophie studiert, bevor sie die intellektuelle Bürde einer Ehe mit einem Beamten des Außenministeriums auf sich nahm. »Und da wir nicht existieren, können wir machen, was wir wollen, richtig? Und haben es trotzdem nicht getan, richtig? «
    Ich parkte den Wagen am Bahnhof in Maidenhead und nahm, mit Bairstows Aktentasche bewaffnet, ein Taxi zu den scheußlichen Reihenhäusern aus den fünfziger Jahren, wo sie wohnten. Ein verfallenes Klettergerüst zierte den überwucherten Vorgarten. Clares verbeulter Renault stand verwahrlost und bedenklich schief auf der mit Unkraut überwachsenen Einfahrt. Neben der Klingel ein verblichenes Schild: CHIEN MÉCHANT. Vermutlich ein Relikt von Simons Besuchen in Brüssel als Moskaubeobachter der Nato. Die Tür ging auf, und

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