Unser Spiel
das Au-pair-Mädchen musterte mich mit träger Neugier.
»Anna Greta. Immer noch hier, meine Güte. Ist ja großartig.«
Ich ging um sie herum in den Flur und schob mich an Kinderwagen, Kinderfahrrädern und einem Wigwam vorbei. Schon kam Clare die Treppe heruntergestürmt und fiel mir um den Hals. Sie trug die Bernsteinbrosche, die ich ihr geschenkt hatte. Simon glaubte, die habe sie von einer entfernten Kusine geerbt. Jedenfalls behauptete sie das.
»Anna Greta, meine Liebe, würden Sie bitte das Gemüse anrichten und auf die Warmhalteplatte stellen?« ordnete sie an, nahm meine Hand und führte mich nach oben. »Du bist immer noch prima in Schuß, Tim. Und Simon sagt, du hast ein absolut tolles, entsetzlich junges Mädchen gefunden. Ich finde das ungeheuer klug von dir. Petronella, schau mal, wer da ist!« Sie bog mir die Hand auf den Rücken und kniff mich. »Es gibt nicht Fisch, sondern Ente. Ich denke, dieses eine Mal wird Simons Herz schon damit fertig werden. Laß dich noch einmal anschauen .«
Petronella kam mit finsterem Blick aus dem Bad, sie hatte ein Handtuch umgebunden und trug einen Mackintosh-Hut. Sie war jetzt zehn, eine undankbare Göre mit Zahnklammer und dem vagen Lächeln ihres Vaters.
»Warum küßt du meine Mutter?«
»Weil wir gute alte Freunde sind, Pet, Kleines«, antwortete Clare unter spitzem Gelächter. »Sei nicht so albern. Du würdest dich garantiert auch mal gern von so einem tollen Mann wie Tim in die Arme nehmen lassen.«
»Nein, würde ich nicht.«
Die Zwillinge wollten Rupert Bear . Ein Nachbarsmädchen namens Hubbie wollte Black Beauty . Der Schlichter in mir entschied sich für Peter Rabbit , und ich kam gerade zu der Stelle, wo Peters Vater in Mr. McGregors Garten einen Unfall hat, da hörte ich Simons Schritte die Treppe hinaufkommen.
»Hallo, Tim, schön dich zu sehen«, sagte er monoton und reichte mir eine leblose Hand. »Hallo, Pet. Hallo, Clive. Hallo, Mark. Hallo, Hubbie.«
»Hallo«, sagten sie.
»Hallo, Clare.«
»Hallo«, sagte Clare. Ich las weiter vor, und Simon hörte von der Tür aus zu. In meinem schwerelosen Geisteszustand hatte ich gehofft, jetzt, da ich ebenfalls Hörner trug, sei ich ihm vielleicht sympathischer. Aber das war anscheinend nicht der Fall, also sah man es mir wohl nicht an.
* **
Die Ente war offenbar tiefgefroren gewesen, denn Teile davon waren es immer noch. Als wir uns durch die blutigen Gliedmaßen kämpften, fiel mir ein, daß wir bei unseren furchtbaren gemeinsamen Mahlzeiten immer so gegessen hatten: zu Matsch zerkochte Kartoffeln, Kantinenkohl in dünner grüner Tunke. Schöpften ihre katholischen Seelen Trost aus solcher Enthaltsamkeit? Fühlten sie sich näher bei Gott und weiter weg von der Herde?
»Warum bist du hier?« fragte Simon mit seiner trockenen, näselnden Stimme.
»Will eine unverheiratete Tante besuchen«, antwortete ich.
»Doch nicht noch so eine stinkreiche, Tim?« sagte Clare.
»Wo wohnt sie denn?« sagte Simon.
»Nein, diese ist mittellos«, erzählte ich Clare. »In Marlow«, erzählte ich Simon.
»Im Pflegeheim? In welchem?« sagte Simon.
»Sunnymeads.« Ich nannte ihm einen Namen, den ich aus den gelben Seiten hatte, und hoffte, daß es das Heim noch gab.
»Ist sie eine Schwester deines Vaters?« fragte Simon.
»Genaugenommen eine Kusine meiner Mutter«, sagte ich, um der Möglichkeit vorzubeugen, daß Simon beim Pflegeheim Sunnymeads anrief und feststellte, daß die Tante gar nicht existierte.
»Bauen Sie eigentlich viel Wein an?« säuselte Anna Greta, die an diesem Abend zum Gast aufgewertet worden war.
»Na ja, eine Rekordernte hatten wir nicht grade, Anna Greta«, antwortete ich. »Aber ganz ordentlich. Und die ersten Proben waren überaus vielversprechend.«
»Ach«, rief Anna Greta aus, als sei sie tatsächlich erstaunt.
»Ich habe da, ehrlich gesagt, ein kleines Problem geerbt. Mein Onkel Bob, der das Geschäft aus Liebhaberei gegründet hat, vertraute sehr auf seinen Schöpfer, und ziemlich wenig auf die Wissenschaft.«
Clare lachte spitz auf, während Anna Greta verblüfft der Kiefer nach unten klappte. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund redete ich weiter.
»Er hat die falschen Reben am falschen Ort angepflanzt, dann hat er um Sonne gebetet und Frost bekommen. Leider beträgt die Lebenserwartung einer Rebe fünfundzwanzig Jahre. Und das bedeutet, wir müssen entweder Massenmord begehen oder noch weitere zehn Jahre gegen die Natur kämpfen.«
Ich konnte nicht aufhören. Erst
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