Unser Spiel
russisches Material, gekauft oder gestohlen, nicht sehr viel. Gegenüber standen ihnen« – er griff sich mit der anderen Hand an den Daumen – »die nordossetische Armee« – er griff sich an den Zeigefinger – »russische OMON-Spezialeinheiten – republikanische Garderegimenter – Terek-Kosaken« – er war beim kleinen Finger angekommen – »und sogenannte Freiwillige aus Südossetien, die die Russen eingeflogen hatten, damit sie ihnen die Henkerarbeit abnahmen und sich im Prigorodniy Rajon breitmachten. Die einzige Unterstützung, die die Inguschen hatten, kam von den Tschetschenen, von denen sie sogenannte Freiwillige und ein paar Waffen ausgeliehen bekamen. Die Tschetschenen sind zwar Freunde der Inguschen, haben aber ihre eigenen Ziele, und das wissen die Russen natürlich. Also benutzen die Russen die Inguschen, um die Tschetschenen zu spalten. Wenn dein Mann ernsthaft behauptet, Bashir oder irgend jemand sonst plane einen großangelegten organisierten Angriff auf die Feinde der Inguschen, ist das entweder frei erfunden, oder Bashir ist verrückt geworden.«
Er hatte sich ausgetobt und tauchte die Arme wieder ins Spülwasser.
Ich versuchte es anders. Ich wußte, es gab da etwas, und das wollte ich aus ihm herauslocken. Etwas, das ich als Bestätigung von Larrys emotionaler Logik noch einmal hören mußte.
»Und ist es denn eine gerechte Sache?« fragte ich.
»Wie bitte?«
Ich machte ihn wütend. »Die Sache der Inguschen. Haben sie das Recht auf ihrer Seite?«
Er klatschte ein Küchensieb aufs Abtropfbrett. » Recht? « wiederholte er entrüstet. »Du sprichst von Recht oder Unrecht im absoluten Sinn? Wie die Geschichte die Inguschen behandelt hat?«
»Ja.«
Er packte ein Backblech und attackierte es mit dem Topfkratzer. Der Versuchung, einen Vortrag zu halten, hatte Simon Dugdale noch nie widerstehen können.
»Dreihundert Jahre lang haben ihnen die Zaren das Leben zur Hölle gemacht. Haben es denen häufig heimgezahlt. Dann kamen die Kommunisten. Kleines Intermezzo falschen Friedens, dann wieder das Übliche. 44 von Stalin deportiert und zu einem Volk von Verbrechern erklärt. Dreizehn Jahre in der Wildnis. Rehabilitierung durch Erlaß des Obersten Sowjets und Erlaubnis, die Mülltonnen zu leeren. Haben es mit friedlichem Protest versucht. Fehlanzeige. Krawalle. Moskau sitzt auf seinem Arsch.« Er beugte sich über das Backblech und schrubbte rachsüchtig. »Die Kommunisten treten ab, Jelzin tritt auf. Geht ihnen um den Bart. Das russische Parlament verabschiedet eine nebulöse Resolution zur Entschädigung enteigneter Völker.« Er schrubbte weiter. »Die Inguschen glauben den Mist. Der Oberste Sowjet beschließt ein Gesetz, das sich für eine inguschische Republik innerhalb der russischen Föderation ausspricht. Großartig. Fünf Minuten später dreht Jelzin ihnen eine Nase und verbietet per Präsidialerlaß jegliche Grenzänderungen im Kaukasus. Nicht so großartig. Moskaus neuester Plan sieht vor, die Osseten zu zwingen, eine bereits vereinbarte Zahl von Inguschen unter gewissen Bedingungen ins Land zurückzulassen. Wirklich tolle Aussichten. Moralisch, was auch immer das heißen mag, sind die Inguschen völlig im Recht, aber in dieser Welt widerstreitender Kompromisse, in der ich leider zu leben habe, heißt das so gut wie gar nichts. Rechtlich ist die Sache für jeden, der noch einen Pfifferling für das postsowjetische Rechtssystem gibt, vollkommen eindeutig. Die Osseten haben gegen das Gesetz verstoßen, die Inguschen sind unschuldig. Aber wann hat das je etwas zu sagen gehabt?«
»Und wie stehen die Amerikaner dazu?«
» Wer bitte?« fragte er – womit er sagen wollte, daß er vielleicht Experte in Sachen Nordkaukasus war, mit den Vereinigten Staaten von Amerika hingegen kaum etwas anfangen konnte.
»Onkel Sam«, sagte ich.
»Mein lieber Mann« – es war das erstemal in seinem Leben, daß er mich so vertraulich anredete –, »jetzt hör mir bitte mal zu, ja?« Plötzlich sprach er mit amerikanischem Akzent. Klang wie eine Mischung aus einem Plantagenbesitzer der Südweststaaten und einem Londoner Straßenhändler. »Scheiße, Mann, ich höre immer Inguschen . Sind das nicht so was wie Indianer , Mann? Ameringuschen? «
Ich grinste gehorsam, aber zu meiner Erleichterung sprach er dann mit seiner normalen tonlosen Stimme weiter.
»Falls die Amerikaner da unten überhaupt eine postsowjetische Politik verfolgen, hat sie jedenfalls keine Linie. Was, wie ich hinzufügen darf,
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