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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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behaupteten, meine Mutter sei eine Hure. Dann habe ich behauptet, ihre Mütter seien Huren, und ungefähr an dieser Stelle mischt Rogow sich ein und sagt ihnen, sie sollen mich runterbringen, mich ein Bad nehmen lassen und nach Hause schicken.«
    Rogow ist der leitende KGB-Resident in Havanna. Insgeheim bin ich überzeugt davon, daß Rogow das Verhör angeordnet hat.
    Ich stelle die unmögliche Frage: War’s schlimm? Larry spielt den Überraschten.
    »Nach Winchester? Ein Kinderspiel. Ich würde jederzeit lieber in ein kubanisches Gefängnis gehen, als noch einmal in unsere Bibliothek. He, Timbo« – er stupst mich am Arm –, »wie wär’s denn mit der da? Genau die richtige für dich. Häßlich und willig. Keine Gefahr.«
    * **
    Ich hatte zwei Wächter, und die waren nur für mich da. Sie machten alles gemeinsam, Tag und Nacht. Beide hatten diesen Trippelgang, der mir bei ihren Kameraden in dem Nachtclub aufgefallen war. Beide sprachen das weiche Russisch des Südens, aber als zweite Sprache oder vielleicht inzwischen als dritte, denn sie studierten im ersten Semester an der Islamischen Universität in Nasran: Arabisch, Koran und Geschichte des Islam. Ihre Namen wollten sie mir, vermutlich auf Anweisung von oben, nicht nennen, aber da ihr Glaube ihnen auch das Lügen verbot, hatten sie in diesen zehn Tagen überhaupt keine Namen.
    Sie waren Muriden, wie sie mir stolz erzählten, sie hatten sich Gott und ihren geistlichen Führern geweiht und widmeten sich auf der Suche nach geheimen Erkenntnissen einem verschwiegenen männlichen Leben. Die Muriden, sagten sie, seien moralisch das Herz der inguschischen Sache und der militärischen und politischen Opposition gegen Rußland. Sie hätten gelobt, ein Beispiel an Frömmigkeit, Ehrlichkeit, Tapferkeit und Selbstentäußerung zu setzen. Der größere und eifrigere der beiden – deren Alter ich auf höchstens zwanzig schätzte – kam aus Jekaschewo, einem großen Dorf im Umland von Nasran; sein kleiner Kamerad stammte aus Jairach, hoch in den Bergen unweit der georgischen Militärstraße im äußersten Süden des umstrittenen Prigorodniy Rajon, der, wie sie mir sagten, die Hälfte des traditionellen Inguschien ausmachte.
    Das alles war am ersten Tag, als sie in ihren Bomberjacken, Maschinenpistolen umklammernd, schüchtern am hinteren Ende meiner Zelle standen und mir zusahen, wie ich zum Frühstück den gleichen starken schwarzen Tee trank, den ich in Aitken Mays Wartezimmer gefunden hatte, nur mit einer kostbaren Scheibe Zitrone, und dazu Brot, Käse und hartgekochte Eier verspeiste. Die Mahlzeiten waren von Anfang an festliche Angelegenheiten. Meine Muriden trugen abwechselnd das Tablett herein und waren sichtlich stolz auf ihre Großzügigkeit. Und da ich bald dahinterkam, daß ihre Mahlzeiten viel bescheidener waren – ihre Vorräte, erzählten sie mir, hätten sie selbst aus Nasran mitgebracht, um nicht gegen die Essensvorschriften ihrer Religion verstoßen zu müssen –, verspeiste ich mein Essen erst recht mit demonstrativem Behagen. Am zweiten Tag tauchten dann auch die Köchinnen auf: ernste Frauen, die Kopftücher trugen und im Schutz der Tür zu mir hineinspähten, die jüngste noch sehr zurückhaltend, die älteren mit prüfenden funkelnden Augen.
    Nur einmal und nur durch ein Mißverständnis bekam ich die weniger gemütliche Seite unserer Beziehung zu spüren. Ich lag auf dem Bett und träumte, und meine Träume mußten eine heftige Wendung genommen haben, denn als ich die Augen aufschlug und meine beiden Muriden auf mich herabstarren sah – der eine hielt stolz ein Stück Toilettenseife und Handtücher, der andere hatte mein Abendessen gebracht –, sprang ich, eine Art Kampfruf ausstoßend, auf, doch wurden mir sofort die Beine weggetreten, und als ich mich wieder aufrappeln wollte, spürte ich die ölige Mündung einer Pistole im Nacken. Wieder allein, hörte ich ihr Feldtelefon knistern und sie mit leisen Stimmen von dem Vorfall Meldung machen. Sie kamen zurück, sahen mir beim Essen zu, entfernten dann das Tablett und ketteten mich am Bett an.
    Für meine Rettung verzichtete ich auf jeden körperlichen oder geistigen Widerstand. Ich lag träge auf dem Rücken und redete mir ein, die größte Freiheit auf Erden biete ein Zustand, in dem man keinen Einfluß auf sein Schicksal habe.
    Doch als mich die Wächter am Morgen losmachten, bluteten meine Handgelenke, und meine Knöchel waren so geschwollen, daß wir sie in kaltem Wasser baden mußten.
    *

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