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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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manchmal ein wenig mehr gehaßt, als ich verdient habe.
    »Larry hat es mit Archetypen, Marjorie«, antwortete ich, nun in mißmutigem Tonfall. »Wenn keine da sind, schafft er sich welche. Er ist ganz wild auf Action, um es einmal modern zu formulieren. Er ist für den Ausgleich. TT hat ihn herbeigeführt.«
    »Und Sie?«
    Ich lachte nachsichtig. Worauf hatte sie es bloß abgesehen – außer auf mich? »Ich vertrat unsere Seite, Marjorie. Ich war für ihn England, mit all seinen Schwächen und Fehlern. TT war ein Exot. Ein heimlicher Moslem, so wie Larry ein heimlicher Christ war. Bei TT hat Larry sich wie in den Ferien gefühlt. Bei mir wie auf der Schule.«
    »Und die Sache hatte Bestand«, sagte sie. Und ließ mich einen Augenblick lang baumeln. »Dank Ihnen.« Wieder betrachtete sie fragend ihre Hände. »Nachdem unsere Kalten Krieger die Arbeit längst eingestellt hatten, wurde Larrys Einsatz unvermindert fortgesetzt. Tschetschejews Dienstzeit in London wurde von Moskau eigens verlängert, damit er Larry weiter bearbeiten konnte. Ist das, im Rückblick betrachtet, nicht ziemlich eigenartig?«
    »Wieso?«
    »Wenn andere Kalten Krieger längst abgebaut wurden?«
    »Larrys Beziehung zu Moskau war einmalig. Wir hatten allen Grund zu der Annahme, daß sie die kommunistische Ära überdauern könnte. Seine russischen Kontrolleure waren der gleichen Ansicht.«
    »Und diese Ansicht haben Sie natürlich unterstützt.«
    »Aber selbstverständlich!« Ich hatte die Macht meiner damaligen Überzeugungen vergessen. »Sicher, es hat große Umwälzungen gegeben. Es gab kein kommunistisches Experiment mehr, das Larry bewundern konnte, andererseits freilich ist Larry sowieso nicht dieser Typ von Agent gewesen, weder in ihren Augen noch in seinen. Er war die Geißel des westlichen Materialismus, ein Fürsprecher Rußlands, in guten und schlechten Zeiten. Angetrieben hat ihn – im Fiktiven wie im Realen –, seine romantische Veranlagung, seine Sympathie für die Benachteiligten, seine instinktive Verachtung des britischen Establishments und dessen unterwürfiger Anhänglichkeit an Amerika. Larrys Abneigungen haben sich mit dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht geändert. Ebensowenig wie seine Sympathien. Seine Träume von einer besseren, gerechteren Welt sind die gleichen geblieben – seine Sympathie für den Einzelnen, nicht für das Kollektiv – seine Sympathie für Abweichlertum und Verschrobenheit. Ebensowenig hat sich unsere ungehobelte Gesellschaft verändert. Nach dem Kalten Krieg ist sie nur noch schlimmer geworden. Auf beiden Seiten des Atlantiks. Korrupter, egoistischer, konformistischer, intoleranter, isolationistischer, selbstgefälliger. Parteiischer. Ich gebe Larrys Äußerungen wieder, Marjorie. Ich zitiere den abtrünnigen Menschenfreund, der die Welt retten will. Das Großbritannien, gegen das Larry in der Phantasie in all diesen Jahren Sabotage betrieben hat, ist heute so wohl und munter wie eh und je. Die schlechteste Regierung, die farbloseste Führung, die jämmerlichste, betrogenste Wählerschaft, die wir jemals hatten – warum hätte Larry uns nicht weiter verraten sollen?«
    Ich stieg von meiner Seifenkiste und bemerkte zufrieden, daß sie rot wurde. Ich stellte mir Onkels im Kabinett und Tanten mit blaugetönten Haaren vor, die das Rückgrat der Tory-Rechten waren. »Lassen Sie Larry da draußen, habe ich argumentiert. Warten Sie ab, was der neue russische Nachrichtendienst mit ihm vorhat. Das sind dieselben Leute, nur mit anderen Hüten. Die werden sich nicht zurücklehnen und die Welt von einer einzigen korrupten Supermacht regieren lassen. Warten Sie auf den nächsten Akt, anstatt ihn abzuservieren und dann wieder hinterherzurennen, wenn es zu spät ist, wie wir es sonst immer machen.«
    »Aber Ihre Redekunst hat Ihnen auch nicht geholfen«, stellte sie fest, während sie nachdenklich an ihrer Uhrkette herumfingerte.
    »Da haben Sie leider recht. Jeder, der von Geschichte auch nur die leiseste Ahnung hat, hätte wissen sollen, daß nach ein oder zwei Jahren alles wieder beim alten sein würde. Die Obere Etage gehörte nicht dazu. Nicht die Russen haben Larry fallenlassen. Sondern wir.«
    Ihre Hände ließen die Uhrkette los und falteten sich wieder unterm Kinn zum Gebet. Ihr Schweigen hatte etwas Warnendes. Barney Waldon starrte auf der anderen Seite des Zimmers in die Luft. Dann wurde mir klar, daß die beiden etwas gehört hatten, auf das sie eingestellt waren und ich nicht: ein

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