Unser Spiel
Tschetschejew nicht mehr im Dienst ist. Und Pettifer auch nicht mehr. Aber Sie vermuten, die beiden hätten etwas vor, auch wenn Sie nicht wissen, was oder warum. Sie glauben, die Polizei könnte Ihr Telefon überwachen. Aber das hält Sie nicht davon ab, uns anzurufen. Sie starren zwanzig Minuten lang dieses Gebäude an, bevor Sie den Mut finden, es zu betreten. Woraus man den nicht unzulässigen Schluß ziehen kann, daß Sie sich seit dem Besuch der Polizei gestern abend in einem Streßzustand befinden, der in gar keinem Verhältnis zu Pettifers Verschwinden steht. Man könnte sogar vermuten, daß Ihnen etwas sehr Schweres auf der Seele liegt. So schwer, daß selbst ein so kaltblütiger Mensch wie Sie seine Ausbildung vergißt und eine Reihe handwerklicher Fehler begeht.«
Meine Befürchtungen hatten sich in Jubel aufgelöst. Ich verzieh ihr alles: ihre richterliche Blasiertheit, ihre versteckte Bosheit, ihre Beschreibung meiner Person als kaltblütig. Engelchöre sangen in meinen Ohren, und einer dieser Engel, das stand für mich fest, war Marjorie Pew. Ich hatte ihr nichts gesagt. Es spielte keine Rolle, daß sie mir das Datum von TTs letztem Besuch nicht sagen konnte oder wollte. Sie hatte mir etwas viel Wichtigeres gesagt: Sie wußten nichts von Emma und Larry .
Sie wußten von Emma und mir, denn nach den Regeln der Firma war ich verpflichtet, sie davon zu benachrichtigen. Aber die dritte Linie des Dreiecks hatten sie nicht gezogen. Und das war, wie wir zu sagen pflegten, eine Drei-Sterne-Information: Allein dafür hatte sich die ganze Fahrt gelohnt.
Ich wählte einen sentimentalen, verletzten Tonfall: »Larry war mehr als mein Agent , Marjorie«, sagte ich. »Er war ein Vierteljahrhundert lang mein Freund. Außerdem war er die beste aktive Quelle, die wir damals hatten. Er war einer dieser Joes, die immer auf die Füße fallen. Am Anfang hat der KGB ihn auf gut Glück rekrutiert. Larry war nicht groß genug, um als Agent irgendwelchen Einfluß zu haben; er hatte keinen Zugang zu wichtigen Informationen. Man zahlte ihm ein kleines Gehalt und ließ ihn, ausgestattet mit einem Schwung Instruktionen von der Moskauer Zentrale, auf den internationalen Konferenz-Zirkus los; man hatte gehofft, er werde es im Lauf der Zeit zu etwas bringen. Das war dann auch der Fall. Er wurde Moskaus Mann, Talentsucher unter linken Studenten, Hinweisgeber auf künftige Sympathisanten des Kreml, Sondierer auf Weltkonferenzen. Nach wenigen Jahren hatte die Firma dank Larrys Hilfe ein eigenes Ensemble zahmer kommunistischer Agenten zusammengestellt, einige Briten, einige Ausländer, aber alle im Alleinbesitz unseres Service; diese Leute haben Moskau einige der raffiniertesten Fehlinformationen des Kalten Krieges zukommen lassen, und der KGB ist nie dahintergekommen. Larry hat subversive Elemente angezogen wie ein Magnet. Er hat die Zaungäste der Dritten Welt bearbeitet, bis er Blasen am Hintern hatte. Er hatte ein Gedächtnis, für das die meisten von uns einen Mord begehen würden. Er kannte jeden gekauften Parlamentarier in Westminster, jeden bestochenen britischen Journalisten, Lobbyisten und Meinungsmacher auf der Londoner Gehaltsliste der Moskauer Zentrale. Beim KGB und in der Firma gab es Leute, die ihr Einkommen und ihre Beförderung ihm zu verdanken hatten. Ich war einer davon. Also, ja, ich war beunruhigt. Und bin es noch immer.«
* **
In dem respektvollen Schweigen, das dieser langen Rede folgte, fiel mir plötzlich wieder ein, was H/IS bedeutete. Wenn Jake Merriman Leiter der Personalabteilung war und Barney Waldon unser Verbindungsmann zu Scotland Yard, mußte es sich bei Marjorie Pew um jenen verhaßten Schakal des Service handeln, der bei den unteren Chargen früher als Politkommissar bekannt war und heute den würdevollen Titel Hauptabteilungsleiter Innere Sicherheit trug. Zu Marjories Aufgabengebiet gehörten ungeleerte Papierkörbe und schmutzige Gedanken über das Liebesleben ehemaliger und aktueller Mitarbeiter ebenso wie die Weitergabe von Verdachtsmomenten an Jake Merriman. Warum sonst sollten Merriman und Waldon ihr so ergeben sein? Warum sonst sollte sie mich bitten, ihr zu schildern – mit meinen eigenen Worten , als ob ich die von irgend jemand anderem zu verwenden vorhatte –, wie es mir überhaupt gelungen sei, Larry für die Firma zu gewinnen? Marjorie Pew wollte irgendeine hirnrissige Verschwörungstheorie testen, nach der Larry und ich von Anfang an unter eine Decke gesteckt hatten; nach der nicht
Weitere Kostenlose Bücher