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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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für eine Gruppe amerikanischer Matronen den Reiseleiter, und wie üblich war jede von ihnen in ihn verschossen. Und warum auch nicht. Er wußte alles, was man über Venedig wissen mußte, seine Begeisterung war unerschöpflich, sein Italienisch war gut, er sprach Englisch wie ein Lord und konnte sich nicht entscheiden, ob er zum Katholizismus übertreten oder im Vatikan eine Bombe hochgehen lassen sollte. Ich rief: ›Larry!‹ Er sah mich, warf Hut und Schirm in die Luft und fiel mir um den Hals. Dann habe ich ihn Diana vorgestellt.«
    Ich redete zwar, doch meine Gedanken konzentrierten sich auf den Hintergrund: die qualvolle Eintönigkeit und die ungeschickten Liebesspiele unserer Flitterwochen, von denen wir gerade zwei hinter uns hatten; die reine Wohltat – auch für Diana, wie sie mir später erzählte –, die ein Dritter für unser Leben bedeutete, zumal jemand, der so ungestüm war wie Larry, auch wenn er sich über ihre altbackenen Ansichten lustig machte. Ich sah Larry in seinem rotweißblauen T-Shirt dramatisch vor Diana aufs Knie fallen, eine Hand ans Herz gepreßt, mit der anderen seinen Hut hochhaltend, den Hut, seinen Winchester-Hut, der dann wundersamerweise durch die Zeiten gekommen war und den er auch noch vor einem Jahr zur Weinlese auf Honeybrook getragen hatte. Das Ding war mit Klebestreifen geflickt, speckig und glänzend, damals wie heute, und hatte längst den Geist aufgegeben. Und um den Kopfteil hatte Larry, zerfetzt, aber siegreich, das heilige Hutband unseres Hauses gewunden. Ich hörte seine sanfte Stimme mit dem künstlich italienischen Akzent theatralisch durch den venezianischen Sonnenschein schallen, als er seine verrückte Begrüßung losließ: Mein-a Timbo! Der kleine Bischof-a persönlich! Und Sie sind-a seine reizende Braut-a!
    »Wir sind mit ihm essen gegangen, haben ihn auf seinem furchtbaren Zimmer besucht – er wohnte bei einer pommerschen Gräfin, wo sonst –, und eines Morgens beim Aufwachen kam mir die Erleuchtung: Er ist genau das, was wir suchen, genau der, über den wir auf den Freitagseminaren gesprochen haben. Wir werben ihn an und bauen ihn komplett neu auf.«
    »Und es hat Sie nicht gestört, daß er Ihr Freund war?« meinte sie.
    Bei dem Wort Freund durchfuhr mich ein anderer Schmerz. Freund? Ich bin ihm nie nahe gekommen, dachte ich. Ein Bekannter vielleicht, aber niemals ein Freund. Er verkörperte das Risiko, das ich niemals eingehen wollte.
    »Es hätte mich viel mehr gestört, wenn er mein Feind gewesen wäre, Marjorie«, hörte ich mich ölig antworten. »Damals waren wir mitten im Kalten Krieg. Wir haben ums Überleben gekämpft. Wir haben an das geglaubt, was wir da getan haben.« Ich konnte mir den Seitenhieb nicht verkneifen: »Ich nehme an, heutzutage fällt das ein wenig schwerer.«
    Und für den Fall, daß die neue Ära ihre Erinnerung an die alte ausgelöscht hatte, erklärte ich dann, was es hieß, jemanden komplett neu aufzubauen: wie die Abteilung Agentenführung ständig unter Druck war, einen jungen Mann zu finden – damals kamen nur Männer in Frage –, der die nimmermüden russischen Werber köderte, die von der Sowjetischen Botschaft in Kensington Palace Gardens aus die Unis Oxford und Cambridge bearbeiteten. Und wie Larry in nahezu jeder denkbaren Weise dem Bild entsprach, das wir, beziehungsweise die Abteilung, vom Mann unserer Träume entworfen hatten – wir konnten ihn sogar für ein drittes Jahr nach Oxford zurückschicken und das Examen machen lassen.
    »Der Schuft hat eine glatte Eins gemacht, ich nur eine ziemlich wacklige Zwei«, sagte ich und lachte anerkennend, aber niemand lachte mit: weder Merriman, der weiter prüfend die Decke betrachtete, noch Waldon, der die Zähne so grimmig aufeinanderbiß, daß man sich fragen konnte, ob er jemals wieder den Mund aufbekäme.
    Und wie wir so den russischen Werbern genau das bieten würden, wonach sie suchten und was sie in der Vergangenheit oft so wirkungsvoll eingesetzt hatten, fuhr ich fort – einen englischen Gentleman, der vom rechten Weg abgekommen war, einen intellektuellen Forschergeist, einen Goldjungen auf Abwegen, einen Gottessucher, der mit der Partei sympathisierte, aber nicht durch förmliche Mitgliedschaft kompromittiert war, ungefestigt, unreif, labil, einen politischen Allesfresser, undefinierbar clever und, wenn es drauf ankam, auch mal zu einem Diebstahl bereit »Sie sind also an ihn herangetreten«, unterbrach Marjorie Pew, und es gelang ihr, das so klingen zu

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