Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
nicht erst sozial gemacht werden, sagte er. Sie sei es aus sich selbst heraus. Darin lag ja gerade der Unterschied zu allem Vorherigen.
Falls es hier klingt, als sei die Marktwirtschaft ein neues Programm mit Menschenbeglückungsanspruch gewesen, muss dieser Eindruck schnell korrigiert werden. Diese neue Wirtschaftsphilosophie war deutlich bescheidener. Sie wollte die Gesellschaft zwar besser machen, aber nicht den einzelnen Menschen. Den nahm sie so, wie er war: unvollkommen. Zwar sprechen die Marktwirtschaftler viel von Ordnung, aber ihre Ordnung sollte die allgemeine Unordnung nur umrahmen und begrenzen, nicht abschaffen.
Deshalb steht im Zentrum dieses marktwirtschaftlichen Denkens verblüffenderweise auch nicht der Markt, sondern die Freiheit. Das ist ein Unterschied, der oft nicht ausreichend gewürdigt wird. Der Militarismus setzte das Militär an die erste Stelle, der Stalinismus Stalin, der Hitlerismus Hitler, der Sozialismus das Sozialistische, im Kapitalismus dreht sich die ganze Welt ums Kapital, aber der Marktwirtschaft geht es zuerst um die Freiheit. Der Markt ist ihr Mittel, aber eben nicht ihr Daseinszweck. Auf den Märkten sollen die Menschen ihre Freiheit ausleben dürfen, für John Stuart Mill der » erste und stärkste Wunsch der menschlichen Natur « , freilich – und diese Einschränkung ist die zweite Natur des Erhard’schen Konzepts – ohne die Freiheit anderer Marktteilnehmer einzuschränken. Deshalb ist wirkliche Marktwirtschaft in der politischen Sphäre auf eine freiheitliche Demokratie angewiesen. Umgekehrt gilt das auch.
Darin liegt der genetische Unterschied von Kapitalismus und Marktwirtschaft, von Wolf und Haushund: Es gibt keine Absolutismen mehr. Jede Gewalt besitzt ihre Gegengewalt: Der Regierung steht die Opposition gegenüber, das Parlament wird durch die Rechtsprechung begrenzt, alle drei Gewalten werden durch die vierte, die freien Medien, gepiesackt und zuweilen auch korrigiert. Und genau so sollte die Wirtschaftsordnung auch verfasst sein. Dem Unternehmer stehen die Belegschaftsvertreter gegenüber, den Unternehmerverbänden die Gewerkschaften, beide können sich jederzeit an die Arbeitsgerichte wenden. Es gibt weiterhin unterschiedliche Interessen, aber sie prallen nicht mehr ungebremst aufeinander, sondern sind zum Ausgleich verpflichtet.
Die Marktwirtschaft, so könnte man es vereinfacht sagen, funktioniert nach dem Prinzip eines Verbrennungsmotors, wo zwar der Kraftstoff gezündet wird, sodass es im Motor fortgesetzt zur Explosion kommt, aber – und das ist der Clou der Angelegenheit – zu einer kontrollierten Explosion, deren Ziel eben nicht die Zerstörung, sondern die Fortbewegung ist. Der Kolben kann sich gegen den Motorblock nur um den Preis des Kolbenfressers durchsetzen. Aber das wird für beide kein erfreuliches Erlebnis. So sind denn alle Antagonisten schon durch die Mechanik der Konstruktion zum Zusammenspiel verdammt: Energie erzeugt Reibung, und Reibung erzeugt Fortschritt, so lassen sich die Vorgänge im Verbrennungsraum der Marktwirtschaft am besten beschreiben.
Der Unterschied zum Kapitalismus ist augenfällig: In ihm war die ungestüme Kraft der Ideen, der Bereicherungsabsichten und des Dominanzstrebens der Akteure unbeherrscht. Es kam zur permanenten Großexplosion. Das System war per definitionem » durchgeknallt « . Es schuf große Reichtümer, aber um den Preis großer Unsicherheit. Der Kapitalismus ermöglichte enorme Wachstumsraten, aber wehe, wenn der Zyklus nach unten sauste. Diesem Achterbahn-Kapitalismus fehlte von Anfang an eine Steuerungstechnik, die in der Lage war, für die Mehrheit der Menschen akzeptable Ergebnisse hervorzubringen.
Beim Sozialismus lagen die Probleme andersherum: Das System arbeitete feuerfrei. Der Sozialist à la DDR und Ud SSR glaubte, die Interessengegensätze versöhnt zu haben, weshalb es zu keiner Explosion, zu keiner Reibung und in Folge dessen auch nicht mehr zu Fortschritten kam. Der Sozialismus ist in seiner ökonomischen Grundmechanik ein reibungsarmes, ein lethargisches und stationäres System, das binnen kürzester Zeit an bürokratischem Stillstand zugrunde geht. Es bringt Gleichheit in Armut. Als Vermehrer von Wohlstand taugt der Sozialismus nicht viel. Was der Kapitalismus durch seine Ungestümheit vermasselt, vermasselt der Sozialismus durch seine Trägheit.
Dennoch war der Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Durchsetzung der Marktwirtschaft durchaus behilflich. Genosse
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