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Unsere Claudia

Unsere Claudia

Titel: Unsere Claudia
Autoren: Berte Bratt
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„Wollen wir nach Hause gehen, Claudia?“ fragte sie. „Möchtest du etwa mit der Straßenbahn fahren? Ach nein, ist ja wahr, dir ist es sicher im Augenblick lieber, wenn du läufst, anstatt zu sitzen, nicht?“
    Es kostete Claudia unendlich viel Selbstbeherrschung, die Tränen zurückzuhalten. Und sie war einsilbig auf dem Nachhauseweg.
    Karin schnatterte von Ulla und ihrem Schnellauf, und davon, daß sie für morgen einen Haufen Schularbeiten zu machen habe, huff, jetzt müsse sie den ganzen Abend lernen und schaffen würde sie es trotzdem nicht – und dann waren sie auch schon zu Hause.
    Sie gingen durch den Hausflur, und plötzlich merkte Claudia, daß ihre Hand eine gewohnte Bewegung zum Hals hinauf machte. Da mußte sie lächeln. Der Schlüssel - es war der Schlüssel, nach dem ihre Hand suchte. Die Hand griff mechanisch zu, sie tat, was sie jahrelang beim Nachhausekommen gewohnt war. Sie war ja längst kein Schlüsselkind mehr.
    Karin klingelte dreimal laut hintereinander, und da stand Tante Helga in der Küchenschürze, und aus der Küchentür im Hintergrund duftete es nach gutem Essen. Nystan kam angelaufen und sprang Karin auf die Schulter, und jetzt ging die Stubentür auf, und Onkel Bo kam heraus, mit der Stummelpfeife im Mund, die Brille in die Stirn hinaufgeschoben, und mit der Zeitung in der Hand; er fragte gleich, ob alle ihre Gliedmaßen heil wären.
    Vom Schlafzimmer drinnen hörte man Brüderchens Geplausch. Er war ins Bett gesteckt worden, aber er war noch wach, und jetzt hielt er seinem Teddybär eine lange und unverständliche Rede.
    Leben und Wärme und glückliche Geschäftigkeit nahmen Karin und Claudia in Empfang.
    Es schoß Claudia durch den Sinn, wie anders es war als zu Hause. Dort harrte ihrer nur eine leere und stille Wohnung. Eine leere, tote Wohnung.
    Und wenn Mutti nach Hause kam – ja, es war so gemütlich, es war so schön, Mutti zu Hause zu haben –, aber da war nichts von der heiteren Unruhe, wie eine wirkliche Familie sie hervorbringt, mit Vater und Mutter und mehreren Kindern und obendrein noch einer Miezekatze!
    „Macht schnell und zieht euch um“, sagte Tante Helga. „Wir wollen in fünf Minuten essen!“
    „Nun, hat es Spaß gemacht auf der Eisbahn?“ fragte Onkel Bo bei Tisch.
    „Riesig!“ sagte Karin. „Ulla hat mich im Schnellauf gründlich geschlagen.“
    „Und du, Claudia?“ fragte Onkel Bo.
    „Claudia, ja“, lachte Karin. „Claudia hat sich auf ihr Hinterteil gesetzt, so daß das Eis Risse bekommen hat, von nun an heißt sie bei uns nur noch Klein-Ria oder Jung-Falk.“
    Claudia preßte die Zähne in die Lippen. Ihr Kinn zitterte. Tante Helga warf ihr einen raschen Blick zu.
    „Ach ja, das will ich’gern glauben!“ sagte sie. „Wie oft bist du denn gefallen, Karin?“
    „Mindestens neuntausendachthundertundvierundfünfzigmal“, sagte Karin. „Das läßt sich doch gar nicht vermeiden!“ Jetzt tropfte eine Träne gerade auf Claudias Teller.
    „Hör mal, Claudia“, sagte Onkel Bo in seinem unbeschreiblichen Deutsch und mit seiner guten, ruhigen Stimme. „Du doch nicht etwa dasitzen und dich grämen, bloß weil auf Eis gesetzt?“
    „Nein – deswegen nicht… aber – sie – haben mich so ausgelacht!“
    „Natürlich haben sie, was sollten sie denn sonst tun? Du hast sicher komisch ausgesehen! Sie haben es längst wieder vergessen, nur du kaust darauf herum. Morgen kommt ein anderer und macht eine komische Figur. Glaubst du mir?“
    „Ich gehe nicht mehr auf die Eisbahn.“
    „Unfug“, sagte Onkel Bo. „Du gehst jetzt erst recht hin, und je eher, desto besser. Wenn jemand über dich lacht, dann lach mit, lach am lautesten von allen. Liebe Claudia, je eher du es lernst, über dein eigenes Mißgeschick zu lachen, desto besser! Lach es dir von der Seele. Wenn man fragt, ob du mit Sonja Henie verwandt bist, dann sag, sie sei deine Urgroßmutter! Geh auf die Neckereien ein, mach dich über dich selber lustig, lache über dich, Kind!“
    Claudia lauschte. Es hörte sich so einfach und unschwierig an, was Onkel Bo sagte. Dergleichen hatte ihr noch keiner jemals gesagt. Aber sie hatte auch noch nie irgendwelchen Leuten von ihren Schnitzern erzählt. Sie war immer allein damit fertig geworden. Und sie hätte auch diesmal nichts davon erwähnt, wenn Karin nicht damit herausgeplatzt wäre, so wie sie gewöhnlich mit allem herausplatzt.
    Da war so unendlich vieles, was Claudia für sich behalten hatte. Sie konnte über alles mit Mutti sprechen,
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