Unsere Claudia
ich gefrühstückt. Und dann wurde mir allmählich klar, wieso der Onkel gesagt hatte, man müsse sich an die Essensgebräuche in Schweden gewöhnen. Ach Mutti, ich werde bestimmt aus meinen Sachen herausgewachsen sein, ehe nur eine Woche vergangen ist. Zum Frühstück ißt man zunächst mal Brot und Butter und verschiedene kalte Gerichte, vor allen Dingen Hering, der auf hundert verschiedene Arten serviert wird. Dieser Hering heißt Strömmihg und wird rundherum um Stockholm gefangen. Er schmeckt ganz wunderbar. All das Kalte, plus Brot und Butter nennt man hier „smörgas“ – smör bedeutet Butter, und gas bedeutet Gans, aber weshalb ein Butterbrot oder eine kalte Platte „Buttergans“ heißt – das geht über meinen Verstand! Nach der „Buttergans“ bekommt man einen warmen Gang, und dann einen Nachtisch. Ich war so satt, daß ich bloß noch watschelte, als wir aus der Gondel weggingen.
Hinterher fragte Onkel Bo, ob ich Lust hätte, die schwedischen Königsgräber zu sehen. Und das hatte ich selbstredend. Die sind in einem Bauwerk, das heißt Riddareholmskyrkan, und wenn ich Onkel Bo richtig verstanden habe, dann bedeutet das soviel wie Ritterinsel-Kirche. In der Kirche gibt es keine Bänke, da ist nur ein einziger großer Raum mit einem Altar, und überall sind Nischen mit Sarkophagen, und an allen Wanden sind Tafeln mit den Namen der verstorbenen Inhaber des Serafim-Ordens, das scheint ein wahnsinnig hoher Orden zu sein. Nur die, die so einen Orden bekommen haben, werden in der Riddareholmskyrkan beigesetzt. In einer großen Nische stehen die Sarkophage der schwedischen Könige. Alle sind aus rotem schwedischem Marmor, außer einem: Mitten in der großen Nische, ganz für sich, steht ein Sarkophag aus schneeweißem Marmor, so, als liege hier einer, dem man eine besondere Ehre erweisen wolle. Weißt Du, wer hier liegt? „Desideria“ ist in den Marmor eingehauen. Da liegt Désirée, die Seidenhändlerstochter aus Marseille!
Muttilein, ich muß aufhören. Tante Helga ruft zum Essen. Grüß Onkel Peter herzlich.
Einen großen „kram“ – das bedeutet Umarmung – und „manga pussar“ (das bedeutet viele Küßchen – Du siehst, das Wichtigste kann ich schon auf Schwedisch).
Deine Claudia
PS. Nach dem Essen: Ich muß Dir noch was erzählen. Als wir beim Essen saßen, hörte ich, wie die Küchentür aufgemacht wurde. Ich drehte mich um – und da hüpfte Nystan gerade von der Türklinke herunter. Karin erklärte mir, daß Nystan, wenn er durch eine Tür will, auf die Türklinke hinaufhüpft und sie mit seinem eigenen Gewicht herunterdrückt – die Tür geht auf, und husch, ist Nystan durch. Das hat er sich ganz von allein ausgedacht. Wußtest Du, daß Katzen so klug sind?
Ich wünschte, wir hätten auch so ein Kätzchen!
Die Talente sind verschieden
„Kommst du mit auf die Eisbahn, Claudia?“ Karin stand in der Tür, rotwangig und voller Unternehmungslust, im Sportanzug, die Schlittschuhe um den Hals gehängt.
„Furchtbar gern.“
„Dann beeil dich, und zieh dich an.“ Claudia warf sich in aller Eile das hübsche Eislaufkostüm über und holte die schimmernden Schlittschuhstiefel hervor.
„Du lieber Himmel, wie siehst du schick aus! Mama, Mama“, rief Karin – sie zerrte Claudia mit zu Tante Helga ins Zimmer. „Sieh bloß, was Claudia für ein schickes Schlittschuhkostüm anhat. Es steht dir einfach märchenhaft.“
Karins Begeisterung war groß und echt, und in ihrer Stimme war auch nicht ein Schimmer von Mißgunst zu spüren, obwohl sie selber abgetragene, blankgescheuerte lange Hosen trug und nicht die Spur elegant aussah.
„Ja, man kann es dir ansehen, daß deine Mutter Fachmann in Kinderkleidung ist, Claudia“, lächelte Tante Helga. „Du wirst auf der Eisbahn Aufsehen erregen.“
„Da fällt mir etwas ein!“ rief Karin. „Ich habe die Rate für meine Schlittschuhe zu bezahlen vergessen.“
„Rate – hast du Schlittschuhe auf Ratenzahlung gekauft?“ fragte Claudia erstaunt.
„Sozusagen“, lachte Karin. „Echte Kunstlaufschlittschuhe, noch vornehmer als deine!“
„Aber – “ sagte Claudia, und ihre Augen fielen auf Karins Schlittschuhe. Zwar waren es Stiefelschlittschuhe, aber mit niedrigen Stiefeln, sogenannte Bandy-Schlittschuhe, genau solche wie Claudias.
„Ja, ich habe sie noch nicht“, sagte Karin. „Ich zahle jede Woche von meinem Taschengeld was ein.“ Tante Helga lachte.
„Nun lauft jetzt, Kinder, so lange es noch hell
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