Unsere Claudia
auf dem Nullpunkt, obwohl es in der Schule voranging, und obwohl alle zu Hause gleichmäßig sanft und freundlich waren. Claudia gab sich alle mögliche Mühe, um zu Karin nett zu sein, und dennoch… dennoch – Karin gab immer häufiger scharfe und spöttische Antworten.
Claudia runzelte die Brauen und war niedergeschlagen.
Karin hatte sich in einen Sessel gekuschelt mit einer illustrierten Zeitschrift in den Händen. Claudia saß am Schreibpult und schrieb an Mutti.
Da stieß Karin plötzlich einen kleinen Schrei aus. „Du Claudia – ich gratuliere! Ihr habt – aber was in aller Welt-“
Claudia blickte auf. „Was ist denn los, Karin?“
„Was los ist? Die größte Gemeinheit, die mir in meinem Leben vorgekommen ist, die ist los. Hör dir das an, Claudia… das Ergebnis des Preisausschreibens ist ‘raus – den ersten und zweiten Preis überspringen wir. Aber dann kommt es: dritter Preis, Flugreise Stockholm-Oslo und zurück, mit einer Woche Aufenthalt in Norwegen, wurde von der dreizehnjährigen Ulla Lundberg gewonnen – da steht ja kein einziges Wort von Claudia Keller. Das ist doch aber hanebüchen – was Gemeineres habe ich noch nicht erlebt –, und die behauptet, sie hätte Sportgeist!“
Karin war blaß vor Zorn, im Namen der Kusine. Diese Karin – sie konnte launisch und schwierig sein, das hatte Claudia immer wieder mal zu spüren bekommen, aber ihr Sinn für ehrliches Spiel und „guten Sportgeist“, der war unfehlbar, und sie nahm immer ganz Partei für denjenigen, der übervorteilt worden war.
„Du – du willst doch nicht etwa behaupten, daß Ulla die Lösung für sich allein eingeschickt hat – sieh doch noch mal nach –, steht nicht vielleicht in dem Text darunter etwas?“ fragte Claudia. Ihre Stimme klang ungläubig. Es kam ihr ganz undenkbar vor, daß ein Mensch sich mit Hilfe fremder Leistungen Ehren zuschanzte. Karin las den ganzen Text genau durch.
„Nicht ein Wort“, sagte sie. „Ulla wird gelobt, weil sie die Aufgabe bewältigt hat, obwohl sie erst dreizehn ist – da steht nicht einmal, daß sie Hilfe gehabt hat! Donnerwetter, Claudia, du hättest die Lösung auf deine eigene Faust einschicken sollen!“
„Das wäre doch nicht fair gewesen“, sagte Claudia. „Ich hätte es doch nie allein geschafft. So viel Schwedisch kann ich doch gar nicht!“
„Es ist jedenfalls viel unfairer von Ulla – denn du hast ja mindestens neun Zehntel der ganzen Aufgabe ‘rausgekriegt –, das muß ich doch schließlich wissen, ich saß doch dabei und habe alles mitangehört. Na, Ulla kann sich auf was gefaßt machen, wenn ich sie sehe! Ich treffe mich morgen mit ihr in der Schwimmhalle, da werde ich ihr aber einen eiskalten Strahl in ihre falsche Fratze spritzen!“
„Immer mit der Ruhe, Karin“, sagte Claudia. „Wir müssen doch erst mal hören, was Ulla dazu sagt! Vielleicht ist es die Schuld der Redaktion – vielleicht ist mein Name aus Versehen weggefallen…“
„… und vielleicht fällt Weihnachten im nächsten Jahr auf Silvester“, sagte Karin. „O nein, du, ich durchschaue das! Ulla will die ganze Ehre für sich einheimsen. Du, komm doch mit zum Schwimmen, vielleicht trainiert sie heute dort. Wir müssen sie so bald wie möglich zu fassen kriegen und ihr eine ordentliche Abreibung verabfolgen!“ Etwas widerstrebend ging Claudia darauf ein, Ulla aufzusuchen. Sie und Karin machten sich auf zur Schwimmhalle, aber abgesehen davon, daß sie ein erfrischendes Bad in dem großen, prächtigen Bassin nahmen, brachte der Nachmittag keinerlei Ergebnis.
„Karin, eins muß du mir versprechen“, sagte Claudia. „Du darfst deinen Eltern nichts erzählen – noch nicht.“
„Das brauch’ ich gar nicht, die werden schon noch selber dahinterkommen“, meinte Karin. „Mama hat die Zeitschrift bestimmt schon gelesen.“
Es stellte sich heraus, daß Karin nicht unrecht hatte. Onkel Bo und Tante Helga waren gleicherweise empört über eine solche Lumperei. Sie wußten längst, daß Ulla die richtige Lösung nur Claudia zu verdanken hatte, und Karin hatte auch erzählt, daß Ulla gesagt hatte, sie werde die Lösung in beider Namen einsenden.
„Wartet bis morgen“, sagte Onkel Bo. „Dann seht ihr ja Ulla, sagst du. Gib ihr Gelegenheit, die Sache zu erklären.“
„Ja, es wird ein Vergnügen sein, diese Erklärung zu hören“, fauchte Karin.
Aber Ulla zeigte sich auch am nächsten Tag nicht in der Badeanstalt, obgleich sie mit Karin verabredet hatte, daß sie gemeinsam
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